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Lucid Dreaming aka Klartraum

Was ist lucid dreaming?
Ein Klartraum ist ein Traum, in dem sich der Träumende davon bewusst ist, dass er sich in einem Traum befindet. Gegebenenfalls kann jener auch eine gewisse Kontrolle über den Traum ausüben.

Gibt es das wirklich, oder glauben manche Leute nur (zu unrecht), dass sie luzide waren?
Dieses Phänomen existiert. Es gibt viele Untersuchungen dazu. In einer der ersten Studien aus dem Jahr 1981 zum Beispiel wurden Teilnehmer gebeten, sobald sie klar träumten, eine vorab verabredete Bewegungsfolge mit ihren Augen auszuführen. Diese extremen nach-links und nach-rechts Bewegungen, mit der richtigen Abfolge, zeigten, dass sie nicht unwillkürlich ausgeführt wurden. Und EEG Messungen zeigten, dass die Personen wirklich noch immer schliefen.

Wer hat luzide Träume?
Anscheinend haben mehr Menschen Klarträume als man zunächst vermuten würde. Als ich mich mit dem Thema zu beschäftigen begann, und ich mich immer noch wunderte, ob es ein reales Phänomen sei, erzählten mir hier und da Freunde, dass sie schon welche gehabt hätten. Für sie war es ganz normal ab und an mal luzide zu sein im Traum. Etwa die Hälfte der Menschen soll zumindest einmal einen luziden Traum erlebt haben, und fast jeder Vierte erlebt sie häufiger. Menschen, die zu Albträumen neigen haben wohl öfter luzide Träume, und wer sich besser an seine Träume erinnert, kann sich auch eher an luzide Träume erinnern. Und jüngere Menschen haben eher luzide Träume als ältere.

Kann man lernen klar zu träumen?
Ja, das ist möglich. Unterschieden werden zwei Herangehensweisen: WILD (Wake induced lucid dreaming) und DILD (Dream induced lucid dreaming).

Beim WILD geht es darum, seinen Körper einschlafen zu lassen und seinen Bewusstsein wach zu halten und es so in den Traum zu überführen. Dazu legt man sich ganz still hin und widersteht der Versuchung, sich noch eben hier zu kratzen, oder sich doch noch einmal zu drehen, damit der Körper wirklich einschlafen kann und nicht immer wieder aus der Einschlafphase herausgerissen wird. Das wohl Schwierigste ist dann jedoch sein Bewusstsein wach zu halten, sobald die ersten Traumszenen auftauchen, und dabei nicht gänzlich aufzuwachen.

Bei DILD geht es darum, dass man im Traum getriggert wird, sodass man luzide wird. Es gibt verschiedene Methoden um die Chance auf einen DILD zu erhöhen.

  1. Führe ein Traumtagebuch. Das Führen eines Traumtagebuchs verbessert die Erinnerungsfähigkeit. Was bringt es, einen Klartraum zu haben, wenn man sich anschließend nicht an ihn erinnern kann?! Außerdem hilft es, sich intensiv und immer wieder mit seinen Träumen zu befassen, um die Chance auf einen Klartraum zu erhöhen. Durch das Führen eines Traumtagebuchs schlägt man also zwei Fliegen mit einer Klappe. Am Anfang kann es sein, dass du dich kaum an deine Träume erinnern kannst. Aber schreibe dennoch alles auf, jedes Detail, Farben, Gefühle, Gedanken, Gespräche, etc., auch der winzigste Fetzen Erinnerung. Das kann auch nur eine vage Ahnung sein. Je öfter du es machst, und je akribischer, desto schneller und besser wirst du zukünftige Träume erinnern können. Am besten legst du dir ein Heft und einen Stift neben dein Bett, und bevor du morgens aufstehst, versuchst du dich erst ganz auf die Träume zu konzentrieren und alles festzuhalten, an das du dich noch erinnern kannst. Plane dafür am besten extra Zeit ein in deiner Morgenroutine.
  2. Drehe dich morgens noch einmal um. Wenn du morgens, nach dem ersten Aufwachen, noch einmal einschläft, ist die Chance auf einen luziden Traum erhöht .
  3. Reality Checks. Teste tagsüber immer mal wieder, ob du dich vielleicht gerade in einem Traum befindest, oder doch noch in der Realität. Das mag dir am Anfang vielleicht seltsam erscheinen, schließlich “weißt” du ja, dass du dich in der Realität befindest (bist du dir sicher??), aber wenn du diese Checks tagsüber regelmäßig durchführst, erhöht sich die Chance, dass du sie auch mal im Traum durchführst, und wenn das geschieht, geschieht es nicht selten, dass du “erwachst”, denn dann passiert etwas, was eigentlich nicht gehen sollte. Was sind also reality checks?
  • Halte dir die Nase zu. Du kannst nicht weiteratmen? Im Traum wirst du es können.
  • Versuche deinen Zeigefinger durch die Handfläche der anderen Hand zu schieben? Klappt nicht? Du träumst wahrscheinlich gerade nicht.
  • Hüpfe ein paar mal und versuche zu fliegen. Das darfst du natürlich machen, wenn niemand da ist, aber das geht auch im Beisein von anderen. Du hast ja schließlich einen Grund dafür, warum du das tust. Wer weiß, ob du dich im Traum absondern kannst um diesen Check durchzuführen, also warum es nicht einfach wagen? 🙂 Befindest du dich im Traum kann es gut sein, dass du nun anfängst zu schweben.
  • Guck auf die Uhr. Eine digitale Uhr ist im Traum oft nicht gut zu lesen. Statt Zahlen sieht man nur etwas Verschwommenes oder sie ergeben keinen Sinn. Es kann aber auch sein, dass die Uhrzeit wohl zu lesen ist, dann guck kurz weg und wieder hin. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du jetzt eine ganz andere Zeit abliest. Seltsam! Träume ich?
  • Schalte das Licht aus. Im Traum klappt das meistens nicht.
  • Schließe die Augen. Auch das klappt normalerweise im Traum nicht.

Um mich daran zu erinnern, diese checks auszuführen, habe ich mir oft ein T für Traum und ein R für Realität auf meine Handgelenke geschrieben. Immer wenn ich den einen oder anderen Buchstaben sah, habe ich einen der checks durchgeführt. Meistens habe ich mir kurz die Nase zugehalten oder versucht meine Handfläche zu durchbohren, das waren die unauffälligsten checks, die ich schnell mal eben durchführen konnte, auch im Beisein von anderen. Es gibt sicher noch andere checks, aber die oben aufgeführten haben sich bei mir alle schon einmal bewährt. Es kann auch sein, dass du im Traum deinen Finger nicht durch die Handfläche schieben kannst, aber wenn du eine Ahnung hast, dass es vielleicht doch ein Traum ist, probiere es einfach noch einmal oder stärker, nur um sicher zu gehen.

Pro
Das Schöne an luziden Träumen ist, dass sie so voll sind. Es geht nicht nur um das Sehen und Hören. Riechen, schmecken, fühlen, das alles ist möglich! Sie sind kein vager Abklatsch der Realität. Man kann den Wind auf der Haut spüren. Wenn man etwas isst, kann man es schmecken. Blumen duften. Gespräche ergeben Sinn. Es ist nicht abstrakt, es fühlt sich ziemlich real an. Aber aufpassen, dass man es nicht für die Realität hält, denn sonst verliert man die Luzidität und wird wieder zum unbewussten Betrachter.
Luzide Träume eignen sich hervorragend, um alles Mögliche auszuprobieren und zu erleben. Fliegen ist und bleibt mein all time favourite. Aber ist gibt auch nützliche Anwendungsgebiete.
Menschen, die unter Albträumen leiden, können mithilfe von Klarträumen Kontrolle über das Geschehen bekommen und angsteinflößende Personen oder Situationen einfach verändern oder verschwinden lassen. Eine Person mit gruseligem Gesicht verfolgt dich? Setz ihr eine Clownsnase auf, verändere ihre Fratze in einen süßen Welpenkopf oder was auch immer du willst, mache sie irgendwie lächerlich, klein, harmlos. Jemand will dich mit einem Messer verletzen? Was für ein Messer? Er hält doch Blumen in der Hand. Jemand hält dich fest? Ha, du hast Superkräfte, er kann dich gar nicht festhalten und hops, fliegst du schon davon.
Sportler nutzen Klarträume um Bewegungsabläufe im Traum zu wiederholen und zu trainieren. Und kreative Menschen können sich in ihren Klarträumen nach Herzenslust austoben und mit verschiedene Ideen jonglieren, oder sich Inspiration holen. Vielleicht hast du ganz andere Interessen, möchtest andere Dinge trainieren, andere Dinge erfahren, das kannst du alles in den luziden Träumen probieren.

Warum sollte ich es lernen luzide zu träumen?
Oben genannte Anwendungsgebiete und unbegrenzte Möglichkeiten reizen dich nicht? Okay, dann brauchst du dir die Mühe um es zu lernen natürlich nicht zu machen. Du kannst ein wunderschönes Leben führen ohne Klarträume. Aber vielleicht verpasst du so eine Menge Spaß!

Kontra
Es gibt mindestens einen weniger schönen Aspekt beim luziden Träumen, nämlich, dass es passieren kann, dass man wach wird, der Körper aber noch schläft. Das kann ziemlich grausig sein. Ich habe das einige Male erlebt. Meine Augen waren geöffnet, ich hatte aber keine Kontrolle über meinen Körper, weil die Schlafparalyse, die verhindert, dass wir uns während der Traumphasen bewegen und verletzen noch aktiv war. Beim ersten Mal hatte ich keine Ahnung, was gerade passierte und wurde ziemlich panisch. Ich sah die Matratze, das Nachtkästchen mit den verschiedenen Dingen, die darauf lagen, sah, dass es schon recht hell war im Raum, konnte aber absolut nichts tun. Das war echt schlimm. Ich habe dann irgendwann angefangen laut um Hilfe zu schreien. Mir kam natürlich niemand zu Hilfe, es hörte mich ja niemand. Ich hoffte einfach, dass ich so irgendwann aufwachen würde. Ich weiß noch, dass ich dachte, wie krass es war, dass mein Partner neben mir lag und völlig ahnungslos darüber war, was ich gerade durchmachte. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, dass ich so da lag und panisch schrie, aber irgendwann war es dann doch soweit, und ich konnte mich wieder bewegen. Ich musste mich dann erst einmal beruhigen. Die Male danach waren zwar auch nicht schön, aber da hatte ich dann schon nachgelesen und begriffen, was Sache war und konnte ruhiger abwarten bis mein gesamter Körper wieder wach war. Wenn du also auch luzides Träumen erlernen möchtest, ist es sicher sinnvoll vorab zu wissen, dass es passieren kann. Und auch wenn es sich mitunter ewiglang anfühlt, man muss wirklich einfach nur abwarten. (Es gibt auch Menschen, die dieses Phänomen erleben, ohne je luzide geträumt zu haben. Ich kenne es nur, seit ich auch luzide träumen kann)
Manchmal wird auch gesagt, dass man eventuell irgendwann nicht mehr zwischen luziden Träumen und der Realität unterscheiden kann. Bisher war es bei mir eher so, dass ich bei normalen Träumen manchmal nicht mehr wusste, ob sie Traum oder Wirklichkeit waren. Ich dachte lange Zeit, dass ich einmal sechs rote Katzen auf unserer Straße gesehen hatte. Irgendwann schien mir das jedoch äußerst unwahrscheinlich, weil ich nie wieder mehr als eine rote Katze gesehen habe, da hatte ich aber schon einer Nachbarin davon erzählt. 😀 Gerade bei luziden Träumen weiß man ja, dass es sich um Träume handelt. Die Verwechslungsgefahr würde ich daher sogar als geringer einschätzen, aber vielleicht ändert sich das, wenn man wirklich oft luzide träumt.

Meine persönlichen Erfahrungen

Ich weiß noch, dass ich am Anfang sehr skeptisch war und dachte, dass sich die Menschen wahrscheinlich nur einbilden, wirklich bewusst zu sein im Traum. Aber es hat mich fasziniert, also wollte ich es probieren. Schon nach kurzer Zeit wurden meine Erinnerungen an meine Träume dank des Traumtagebuchs so viel besser und ich war begeistert, wie unterhaltsam schon meine normalen Träume sein konnten (Keine Sorge, ich habe mal in einer Präsentation jemanden sagen hören, dass die eigenen Träume eigentlich nur für einen selbst interessant sind und eher weniger für alle anderen. Ich glaube das stimmt, also werde ich dich damit jetzt nicht langweilen). Als ich dann tatsächlich meinen ersten luziden Traum hatte, war ich völlig aus dem Häuschen! Schon im Traum selbst, als ich nicht nur meinen Finger durch die Hand, sondern auch meine Arme durch den Tisch schieben konnte, war ich ganz aufgeregt. (funny note, der Finger wollte erst nicht durch die Handfläche durch, mit genügend Druck bildete sich auf dem Handrücken dann aber doch eine Wulst und noch etwas mehr Anstrengung kam der Finger raus. Auch der Tisch war zunächst sehr massiv, aber da wusste ich schon, dass es klappen müsste, und es funktionierte). Ich bin dann als nächstes durch die geschlossene Tür in den Garten gelaufen um dort zu fliegen. Nach dem Aufwachen war ich hellauf begeistert und bin vielleicht sogar herumgehüpft. Aber dieses Hoch ließ im Laufe des Tages nach und Zweifel kamen zurück. War ich wirklich wirklich bewusst, oder habe ich auch das nur geträumt? War es real? Ich wusste es nicht, dabei hatte ich es am Morgen ganz sicher gewusst. Es bedurfte noch ein paar Erfahrungen, um alle Zweifel auszuräumen. Meistens hat mich das Nase zuhalten darauf gebracht, dass ich träumen musste. Manchmal wurde ich skeptisch und habe dann mit den reality checks meine Ahnung überprüft. Zum Beispiel war ich auf dem Weg zur Bushaltestelle und fragte mich, wo ich überhaupt hin wollte. Nase zuhalten, weiteratmen, fasziniert umblicken und die Gesichter in den vorbeifahrenden Autos bewundern, die zurück starren, als ob sie sich fragten, warum man so komisch guckt. Es hat eine Weile gedauert, luzide zu werden, aber je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto besser gelang es. Wenn du dich also dafür interessierst, es auch mal zu versuchen, mach es! Und bleib dran, auch wenn du nicht schon nach einer Woche Erfolg verbuchst.

PS:
Ich weiß, zu einem ordentlichen Text gehören Referenzen. Vergib mir, dass ich aus Zeitmangel keine einfüge. Hier zwei Namen, die du mal googlen kannst, wenn es dich interessiert: Stephen P. La Berge, Daniel Erlacher. Klartraum oder lucid dreaming in die Suchmachine einzugeben wird dir Unmengen an Artikeln liefern. Es schadet nicht, sich da einmal durchzuwuseln, aber im Prinzip braucht man gar nicht so viel zu lesen um anfangen zu können. Traumtagebuch und regelmäßig durchgeführte reality checks sollten dich schnell zu deinem ersten (oder zu häufigeren) Klarträumen führen. Ich hoffe, mein kurzer Überblick weiter oben erweist sich als nützlich, wenn du es auch probieren möchtest. Guten Flug! 🙂

Abtreibung

Über Mutterschaft zur Abtreibungsbefürworterin

Zum Thema Abtreibung habe ich eine philosophisch-idealistische und eine pragmatisch-realistische Meinung.

Die philosophisch-idealistische Meinung stammt noch aus der Zeit, in der ich mich mit dem Thema das erste Mal tiefgehender befasst habe. Unweigerlich landete ich bei meiner Recherche auf jenen Webseiten, deren Ziel es ist einen davon zu überzeugen, dass Abtreibungen falsch seien. Die Bilder von abgetriebenen Embryonen (winzige, blutige Hände und Beine) haben bei mir ihre Wirkung nicht verfehlt. Es tat mir fast körperlich weh, sie zu sehen und darüber nachzudenken, was aus den kleinen Wesen, die schon wie winzige Babys aussahen, hätte werden können. Und es fühlte sich ungerecht an, dass dieses Kind kein Mitspracherecht hatte und über seinen Kopf hinweg entschieden wurde und es sich nicht wehren konnte.

Wann beginnt schützenswertes Leben, überlegte ich. Erst dann, wenn das Kind geboren wird? Wenn es außerhalb des Uterus lebensfähig ist? Wenn es einen Herzschlag hat oder wenigstens so aussieht, wie ein Baby und nicht wie ein unförmiges Etwas? Sollte der Stand der Entwicklung darüber entscheiden, inwieweit Leben als schützenswert anerkannt wird? Und welcher Entwicklungsstand muss erreicht werden? Und vor allem, wer bestimmt das? Sind das nicht alles willkürliche Abgrenzungen? Wann wird aus werdendem Leben seiendes Leben? Ich schlussfolgerte, dass Leben dann beginnt und somit schützenswert ist, sobald eine befruchtete Eizelle sich in der Gebärmutter eingenistet hat, denn danach gibt es einfach nicht den Moment, der aus einem Zellhaufen Leben macht. Die Überlebensfähigkeit außerhalb des Uterus ändert sich Dank Fortschritten in der Medizin ständig, der Herzschlag ist mal früher, mal später sichtbar, und darüber, wann ein Embryo aussieht, wie ein Baby besteht kaum Einigkeit.

Da das Beenden von Leben – jeglichen Lebens – falsch ist, mussten also Abtreibungen auch falsch sein. Leben ist schützenswert, egal wie klein es ist. Das stand also für mich fest. Die rein hypothetische Frage “Was wäre, wenn ich ungewollt schwanger würde…” beantwortete ich also mit “Dann würde ich das Kind bekommen!”. Abtreibung war ausgeschlossen. Weil ich aber kein Kind wollte, musste ich vorsorgen. Das bedeutete doppelte, bis dreifache Verhütung (Kupferspirale + Kondom, und falls das mit dem Kondom nicht perfekt geklappt hatte zur Sicherheit auch mal die Pille danach, obwohl ich ja eigentlich keine Hormone nehmen will). Es hat geklappt und ich bin bisher nie ungewollt schwanger geworden.

Und obwohl ich im Prinzip weiterhin die philosophisch-ethische Meinung vertrete ist an ihre Seite die pragmatisch-realistische getreten. Denn jetzt da ich zweifache Mutter bin, und verstehe, was es wirklich heißt schwanger zu sein, zu gebären und vor allem die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, kann ich die Tragweite einer Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch viel besser begreifen. Die philosophisch-ethische Meinung ist schlicht zu eindimensional. Es ist ein viel komplexerer Sachverhalt. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist ein wichtiger, aber nun einmal nur ein Aspekt unter vielen.

Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn ich doch ungewollt schwanger geworden wäre. Das ist unmöglich zu sagen. Vielleicht hätte ich – wenn die Frage “was wäre, wenn…” nicht nur theoretisch geblieben, sondern ganz real geworden wäre, doch anders gedacht und mich für einen Abbruch entschieden. Wer weiß. Hätte ich das Kind bekommen, hätten mich meine Eltern aufgefangen, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber das Kind wäre größtenteils ohne Vater aufgewachsen. Und ich hätte mein Studium unterbrechen, oder vielleicht ganz abbrechen müssen. Ich bin froh, dass es nicht geschehen ist, denn ich konnte so eine persönliche Entwicklung erleben, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin, und ich mag, wer ich geworden bin. Und ich habe jetzt ganz andere Voraussetzungen um Kinder groß zu ziehen. Auch wenn ich es damals irgendwie hinbekommen hätte, wäre ich meinem Kind nicht so eine gute Mutter gewesen, wie ich es jetzt meinen beiden Kindern sein kann. Der entscheidende Unterschied ist einfach, dass ich bereit war, als ich tatsächlich Mutter wurde, und das war ich in meinen Zwanzigern nicht.

Was Abtreibungsgegner vielleicht nicht verstehen, ist, dass man sich nicht in erster Linie gegen das Kind entscheidet, sondern gegen das Leben, das man führen würde, würde man das Kind austragen. Ich verstehe sie ja, wenn sie sich für das ungeborene Leben einsetzen, denn ich bin ja auch, bis zu einem gewissen Punkt, der Ansicht, dass es schützenswert ist. Und an sich ist die Haltung, Leben zu schützen, auch sehr löblich. Es wäre sogar schlimm, wenn uns das Beenden von Leben kalt ließe. Aber Abtreibungsgegner beschränken sich nur auf einen einzigen Aspekt, dem Leben des Ungeborenen. Dass Frauen, wenn sie nicht abtreiben, riskieren in die Armut abzurutschen, weil sie zum Beispiel ihre Ausbildung abbrechen müssen, oder weil sie nicht mehr arbeiten gehen können, oder in Teilzeit gehen müssen um sich um das Kind kümmern zu können und sich so erst ihr Einkommen und später die Rente vermindert, dass sie also nicht durch die Gesellschaft aufgefangen werden, das wird nicht thematisiert. Oder auch dass Frauen mit einem (weiteren) Kind überlastet wären. Oder dass der männliche Erzeuger droht, die Frau zu verlassen, wenn sie das Kind bekommt. Oder dass die Frau vielleicht schlicht keine Mutter sein möchte oder kann. Aber auch dass ein stark behindertes Kind, wenn es bis zur Geburt überlebt, vielleicht nur Qual und Elend erleben würde, bis es dann kurz nach der Geburt dennoch stirbt.

Abtreibungsgegner sind gegen die Abtreibung, um das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen , aber denken sie jemals weiter und überlegen sich, was aus einem Kind würde, dass in eine Familie geboren wird, die es nicht haben wollte? Alle wollen das ungeborene Kind schützen, doch wer schützt und unterstützt es, wenn es einmal auf der Welt ist? Wenn Eltern das Kind nur bekommen, weil eine Abtreibung nicht möglich war, endet es im besten Fall damit, dass sie ihr Kind dennoch annehmen und lieben und ihr neues Leben akzeptieren können. Im schlimmsten Fall jedoch wächst das Kind unter katastrophalen Zuständen auf, bei Vater und/oder Mutter, die es nicht lieben und es als Hindernis, als Störfaktor wahrnehmen. Was das mit der Psyche eines Kindes macht, von jenen abgelehnt zu werden, die es doch eigentlich lieben sollten, ist mindestens genauso traurig, wie die Abtreibung selbst und vielleicht sogar schlimmer. Deswegen ist es wichtig, dass Frau und/oder Mann dann Kinder haben, wenn sie es selbst wollen und nicht aufgrund von Druck von außen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, der für sie passt, mit einem Partner (wenn gewünscht), mit dem sie ein Kind haben möchten. Und wenn jemand überhaupt keine Kinder haben möchte, ist das auch völlig legitim.

In Deutschland sind Abtreibungen verboten. Sie bleiben jedoch straffrei, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Entweder, wenn die Abtreibung vor der 14. Schwangerschaftswoche von einem Arzt/einer Ärztin durchgeführt wird, und nur, wenn mindestens drei Tage zuvor eine Schwangerschaftskonfliktberatung wahrgenommen wurde und die Frau einen Schein als Beleg vorweisen kann, oder wenn eine medizinische (die Schwangerschaft gefährdet die physische oder psychische Gesundheit der Frau) beziehungsweise kriminologische (Vergewaltigung, Inzest) Indikation vorliegt. Dass Abtreibung immer noch unter Strafe steht und nur unter gewissen Voraussetzung straffrei bleibt, zeigt, dass jene die Gesetze machen, die entweder nie selbst (ungewollt) schwanger geworden sind (zum Beispiel, weil sie keinen Uterus haben), oder weil sie die Weitsicht nicht besitzen die Komplexität dieses Themas voll zu begreifen. Die Tatsache, dass ÄrztInnen keine Informationen über die bei ihnen angewandten Abbruchmethoden geben dürfen, zeigt, wie realitätsfern unsere Gesetze sind. Informationen fördern keine Abbrüche. Die Abbrüche gibt es bereits, Informationen helfen schlicht jenen Frauen, die sie benötigen. Das hat mit Werbung nichts zu tun. Keine Frau, die gewollt schwanger geworden ist, entschließt sich zu einem Abbruch, nur weil sie auf der Webseite eines Frauenarztes/einer Frauenärztin gelesen hat, dass jene/r diese durchführt und wie. Es wird Frauen nur zusätzlich erschwert die Informationen zu erhalten, die sie brauchen und daran muss sich schleunigst etwas ändern.

Schwangerschaftsabbrüche müssen legal werden und Beratung optional, damit Frauen, die sich zu einem Abbruch entscheiden, endlich offen darüber sprechen dürfen, statt dass sie mit Verurteilung rechnen müssen. Keine Frau trifft die Entscheidung zu einem Abbruch leichtfertig und es ist nicht der Abbruch selbst, der ihnen in der Regel zu schaffen macht, da sie gute Gründe haben, der einen Abbruch notwendig macht, sondern die Tabuisierung in unserer Gesellschaft, die sie zum Schweigen verdammt. So viele Frauen brechen ihre Schwangerschaften ab (etwa 100.000 pro Jahr in Deutschland, zumindest sind das die offiziellen Zahlen, es können viel mehr sein), aber hast du je eine offen über ihre Erfahrung sprechen hören? Frauen sollten nicht jede für sich alleine mit dem Abbruch zurecht kommen müssen. Es wird Zeit, dass wir endlich anerkennen, dass wir in keiner idealen Welt leben, in der es keine ungewollten Schwangerschaften oder kranke Feten gibt, und wir den Frauen, die eine Abtreibung haben durchführen lassen nicht mit Verurteilung begegnen, sondern mit Respekt und einem offenen Ohr. Auch sollte ihnen der Raum gegeben werden, um um ihr Kind trauern zu dürfen, denn auch wenn ein Abbruch aus vielerlei Gründen die richtige Entscheidung für die Frau ist, kann sie sehr wohl Trauer darüber empfinden, ihr Kind verloren zu haben.

Wird Frauen die Möglichkeit genommen eine Schwangerschaft beenden lassen zu können, werden sie in ihrer Not zu anderen Mitteln greifen, die ihr eigenes Leben gefährden. Das kann man leider in jenen Ländern beobachten, in denen Abtreibungen unter Strafe stehen. Abtreibungen zu verbieten heißt, Frauen in ihrer Not alleine zu lassen und die Augen vor der Realität zu verschließen. Statt sich also für eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze einzusetzen, sollten Abtreibungsgegner an ganz anderen Punkten ansetzen. Abtreibungsgegner sollten ihre Energie darauf verwenden, dass Abtreibungen nicht mehr so häufig nötig werden. Zum Beispiel könnten sie sich dafür einsetzen, dass Verhütungsmittel allen Menschen kostenlos oder günstig zur Verfügung stehen und dass anständige Aufklärung über Sex und Verhütungsmethoden betrieben wird. Aber keine Verhütung (bis auf sexuelle Entsagung) ist zu 100% sicher und ungewollte Schwangerschaften ganz zu verhindern scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit. Deswegen sollten sie zusätzlich ein Netz spannen, dass jene Frauen auffängt, die ihr Kind bekommen würden, wenn das Bekommen des Kindes sie nicht derart benachteiligen würde. Ich denke da an bessere finanzielle Unterstützung, die den Verlust durch Teilzeit und in der Rente ausgleichen würde, ich denke an ordentliche, flexible, günstige oder kostenlose Betreuungsplätze fürs Kind, ich denke an neue Strukturen, die es erlauben Ausbildung/Beruf und Eltern sein zu kombinieren. Die Mentalität unserer Gesellschaft muss sich dahingehend ändern, dass das Wohlergehen von Kindern in unser aller Interesse liegt, und die Fürsorge nicht allein auf den Schultern der Eltern zu liegen kommt. Gerade Eltern von Kindern mit Behinderungen werden oft allein gelassen. Dabei müssen gerade jene finanziell (Therapien, Medikamente, medizinische Apparatur, Betreuung), aber vor allem auch tatkräftig unterstützt werden, damit sie Zeit bekommen um Energie zu schöpfen und sich auch um eventuell bereits vorhandene Kinder kümmern zu können.

Wenn eine Frau schwanger wird und das Kind nicht bekommen möchte, aus welchen Gründen auch immer, dann muss das respektiert werden. Sie wird ihre Gründe haben und diese muss sie auch niemandem mitteilen, sie sollte sich nicht rechtfertigen müssen. Was mich an diesem Thema aufregt ist, dass sich manche Menschen anmaßen es besser zu wissen, als die betreffende Frau. Als könnte die Frau nicht sehr gut selbst entscheiden, was in ihrer Situation die richtige Entscheidung ist. Und dass Frauen zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung gezwungen werden, bevor sie den Abbruch vornehmen dürfen, ist eine Bevormundung, die Frauen sich nicht mehr gefallen lassen dürfen! Es wird so nämlich suggeriert, dass Frauen erst eine Beratung brauchen, um zu einer qualifizierten Entscheidung zu gelangen. Zum Glück ist eine solche Beratung ergebnisoffen und eine Frau muss sich nicht rechtfertigen oder erklären, sie bekommt die Informationen, die sie braucht, zum Beispiel eine Liste mit Ärzten, die Abbrüche vornehmen. Jene Frauen, die unsicher sind, bekommen auf Wunsch auch Informationen über Alternativen. Ich finde es gut, dass es diese Beratung gibt, aber sie muss ein Angebot sein, keine Voraussetzung dafür, einen Abbruch vornehmen lassen zu dürfen. Ich glaube ja, würden Männer schwanger werden (und die Rollen wären deswegen nicht komplett vertauscht) würden wir diese Diskussion gar nicht führen! Entweder sind Frauen zu genügsam und lassen sich zu leicht zu viel gefallen, oder sie sind so daran gewöhnt bevormundet zu werden, dass es ihnen (uns) oft gar nicht mehr auffällt. Oder wir haben schon so viel zu tun mit der ganzen zusätzlichen, unbezahlten Arbeit, dass wir gar nicht die Zeit finden, unsere Rechte einzufordern, aber das ist ein anderes Thema.

Jene Männer, deren Partnerinnen abtreiben lassen, obwohl sie selbst das Kind gewollt hätten, haben mein aufrechtes Mitgefühl. Ich kann verstehen, dass jene es sehr unfair finden, den Abbruch nicht verhindern zu können und so ihr Kind zu verlieren. Aber ihnen muss klar sein, dass Frauen keine wandelnden Brutkästen sind. Adoption ist nicht immer eine Option, denn davor muss Frau die Schwangerschaft, Geburt und deren Folgen auf den Körper auf sich nehmen. Und das ist nicht nichts! Ich nenne hier nur mal ein paar der typischen Begleiterscheinungen, die Schwangerschaft und Geburt echt hart machen, manchmal sind diese schwächer, manchmal stärker ausgeprägt, das weiß man vorab nicht: Übelkeit und Erbrechen, extreme Müdigkeit, starke Einschränkungen in der Mobilität, Rückenschmerzen, Flüssigkeitsansammlungen in den Beinen und Fingern, Schlafstörungen, ständiger Harndrang, Schwangerschaftsdiabetis, ungeplanter Kaiserschnitt, Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen, Damm – und Scheidenwandriss, völlige Erschöpfung, Inkontinenz, Aufweichung der Muskeln… Ach es gibt so viel. Und das hört mit der Geburt nicht auf, die Nachwirkungen spürt man noch über viele Monate oder sogar Jahre. Ich rate allen Männern, dass sie mit den Frauen, mit denen sie gedenken Sex zu haben, vorab über das Thema Abtreibung sprechen, und wenn sie mit der Haltung der Frau zu diesem Thema nicht einverstanden sind, oder nicht riskieren wollen, ein Kind durch Abtreibung zu verlieren, dass sie entweder keinen Sex haben oder verdammt viel Vorsorge treffen, keine Schwangerschaft zu verursachen (Das gleiche gilt übrigens auch für den umgekehrten Fall, wenn die Frau schwanger wird, das (behinderte) Kind aber sehr wohl behalten möchte!).

Egal, wer seine Meinung zu diesem Thema kundtut, ob es nun Befürworter oder Gegner sind, jedem muss klar sein, dass das, was sie sagen nur eine Meinung ist. Niemand darf sich erdreisten zu glauben, dass er eine Entscheidungsgewalt hat, denn die darf immer nur bei der Person liegen, die es betrifft. Nur sie weiß, was die richtige Entscheidung ist, egal ob für oder gegen den Abbruch, für oder gegen das Kind, für oder gegen das Leben, das sie führen würde.

Als ich mit meinen beiden Kindern schwanger war, habe ich keine Tests auf etwaige Behinderungen durchführen lassen. Ich war mir sicher, dass ich auch ein Kind mit Downsyndrom bekommen würde, schließlich wäre es mein Kind. Aber ich hatte mich auch nicht eingehender mit dem Downsyndrom befasst. Würde ich jetzt doch noch einmal schwanger werden und das Kind hätte das Downsyndrom, ich weiß nicht, ob ich, so wie in meinen beiden ersten Schwangerschaften so sicher wäre, es auf jeden Fall zu bekommen. Aber auch bei einem gesunden Kind wäre ich mir nicht sicher, denn ich möchte keine weiteren Kinder bekommen. Vielleicht würde ich beide Kinder, gesund oder behindert, bekommen, weil es nun einmal meine Kinder wären und ich glaube, dass mein Beschützerinstinkt ziemlich stark ausgeprägt ist, aber sicher bin ich mir nicht, denn alles ist nur Theorie. Solange ich nicht selbst mit einer Situation konfrontiert bin, werde ich niemals wissen, wie ich mich entscheide und wie sich meine Meinung zu einem Thema ändert. Ich würde mit meinem Partner sprechen, ich würde versuchen ein realistisches Bild davon zu machen, wie mein Leben aussehen würde, würden wir das Kind bekommen, ich würde mich fragen, ob ich es schaffen würde, könnte, und wollte. Wenn mir jetzt eine Person erzählte, dass sie ein Kind mit oder ohne Behinderung abgetrieben hätte, würde ich immerhin nicht die Neigung haben, ein Urteil zu fällen, sondern stattdessen darin vertrauen, dass sie unter Berücksichtigung aller Faktoren die bestmögliche Entscheidung getroffen hat.

Ich hoffe, dass Frauen, die sich zu einer Abtreibung entscheiden oder diese erwägen, dies bald nicht mehr verstecken und totschweigen müssen, und dass sie offen darüber sprechen können und Mitgefühl und Verständnis erfahren, statt Verurteilung. Wir müssen anerkennen, dass sie besser wissen, was es bedeuten würde (noch) ein Kind, oder dieses Kind, zu bekommen, und was es für ihr eigenes Leben bedeuten würde. Denn man darf nicht vergessen, dass es hier um zwei Leben geht: Das des Embryos und das der Frau. Und wenn zwischen zwei Leben entschieden werden muss, dann müssen mitunter harte Entscheidungen getroffen werden. Und die Entscheidung trifft die Frau, denn es ist nun einmal ihr Körper, ihr Leben, und dieses sollte eine Frau genauso wichtig nehmen (dürfen), wie das des ungeborenen Kindes.

Zum Schluss möchte ich auch jenen ÄrztInnen meinen Respekt zollen, die die Rechte der Frauen anerkennen, sie ernst nehmen und Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Es ist immer schöner Leben auf die Welt zu bringen, statt es beenden zu müssen, und davor dass diese ÄrztInnen erkennen, dass wir nun einmal nicht in einer idealen Welt leben, sondern realistisch-pragmatisch sind und einem Menschen in einer Notsituation helfen, statt ihn allein zu lassen, ziehe ich meinen Hut.

Gefühl vs. Verstand

Ich habe lange damit gekämpft, dass es Momente gibt, in denen ich körperliche Reaktionen habe, die ich mit meinem Verstand nicht unter Kontrolle bringen kann. Zum Beispiel, dass ich furchtbar nervös werde, wenn ich einen Vortrag halten soll, oder tausend Mal schlimmer, wenn es um eine mündliche Prüfung geht (da setzt mein Verstand ziemlich komplett aus, da ist mein Motto eher “Augen zu und durch”, was nicht sehr zielführend in einer Prüfung ist). Aber vor allem hat es mich sehr genervt, wenn mir die Tränen kommen, obwohl ich weiß, dass alles gar nicht so schlimm ist. Dann sage ich mir, dass ich nicht weinen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, dass ich mal wieder völlig überreagiere. Und ich komme mir blöde vor, weil ich wieder von Gefühlen übermannt werde, statt sachlich an die Sache heran zu gehen. Und das sollte ich doch inzwischen können, nicht wahr? Schließlich bin ich erwachsen. Ich sollte Möglichkeiten haben Probleme zu lösen, ohne gleich in Tränen auszubrechen. Wenn ich alleine bin, kann ich es meistens noch ganz gut, aber wehe ich soll jemandem, während ich mich in in diesem kritischen Zustand befinde, erklären, was Sache ist. Dann ist es aussichtslos und die Tränen kullern und ich versuche gleichzeitig zu versichern, dass alles gar nicht so schlimm ist, nur ich eben sehr nahe am Wasser gebaut bin und mein Gegenüber soll die Tränen wenn möglich einfach ignorieren.

Und dann habe ich meinen jetzigen Mann kennen gelernt, und er war der erste, der anscheinend völlig okay damit ist, wenn ich weine. Als ich mal wieder sagte, dass er meine Tränen ignorieren sollte, meinte er, dass ich ruhig weinen könne, es würde ihm nichts ausmachen und danach würde ich mich sicher schon besser fühlen. Bang. So einfach. Jetzt durfte ich weinen, ohne mich dafür zu entschuldigen. Und, es tat gut!

Ich habe über den Konflikt zwischen meinen widerspenstigen körperlichen Reaktionen (Angstschweiß vor Vorträgen, Kloß im Hals und Tränen bei Enttäuschung oder Überforderung etc.) und meinem Verstand (das kann man doch sachlich regeln!) nachgedacht und festgestellt, dass meine körperlichen Reaktionen nicht das Problem sind! Es ist eher der Versuch diese zu unterdrücken, sie zu problematisieren, sie als Versagen zu betrachten, statt sie einfach zu akzeptieren. Nicht das Gefühl belastet mich, sondern der Versuch, sie mit meinem Verstand irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, und wenn das misslingt, mich als Versager wahrzunehmen. Wieder nicht geschafft!

Sehen wir das doch einmal wirklich sachlich. Ich werde nervös vor Vorträgen. Völlig egal, dass ich weiß, dass nur nette Menschen im Publikum sitzen. Völlig egal, dass ich weiß, dass ich gut vorbereitet bin. Völlig egal, dass es nicht einmal um irgendetwas wie eine Note oder Ähnliches geht. Ich werde trotzdem nervös. Und? Ist doch okay. Dann bin ich eben nervös. Sobald ich nicht mehr versuche, nicht-nervös zu sein, und kläglich scheitere, sondern einfach hinnehme, dass ich jemand bin, der nervös wird, wenn er eine Präsentation halten muss, wird alles schon viel weniger schlimm. Dann brauche ich nur die Nervosität auszuhalten, nicht noch Gefühle des Scheiterns.

Und wenn ich weine, warum auch immer, dann weine ich eben. Mein Körper reagiert so, anscheinend braucht er das gerade. Ein Ventil für Anspannung wahrscheinlich. Und wenn ich die Anspannung so los werden kann ist das doch eigentlich ziemlich cool. Besser als wenn ich irgendwo rein schlage oder es in mich rein fresse.

Aber wo kommt es eigentlich her, dass ich denke, ich müsste mich derart im Griff haben? Und dass ich diesen Konflikt zwischen Gefühl und Verstand habe? Warum habe ich nicht einfach immer meine Gefühle akzeptiert und hingenommen? Warum meinte ich, gegen sie ankämpfen zu müssen?

Wäre ich ein einzelner Mensch auf diesem Planeten würde ich viele Dinge wahrscheinlich anders tun. Ich würde wahrscheinlich öfter mal nackt oder halbnackt durch die Gegend laufen, ich würde einfach mal schreien, wenn ich Bock drauf hätte, ich würde längere Zeit einfach nicht duschen, ich würde wahrscheinlich über all die zwischenmenschlichen Themen nicht nachdenken, ich hätte so viel Zeit! Aber worauf ich eigentlich hinauswollte, ich würde wahrscheinlich einfach weinen, wenn mir danach wäre, ohne groß darüber nachzudenken. Ich würde meine Gefühle wahrscheinlich einfach hinnehmen, da ja nur ich da wäre, und sie niemand anders unbequem sein könnten. Mein Punkt ist, wahrscheinlich habe ich gelernt, dass man nur weint, wenn etwas wirklich Schlimmes passiert ist. Zum Beispiel, wenn jemand gestorben ist, oder eine Beziehung in die Brüche geht oder dergleichen. Also wirklich schlimme Dinge. Weinen, weil man wegen etwas traurig ist, das nicht in diese „wirklich schlimm“ Kategorie fällt, geht halt nicht. Wenn man das tut, hat man sich nicht unter Kontrolle, man ist verweichlicht, oder schlimmer noch, versucht zu manipulieren. Oh, das letzte ist ein wichtiger Punkt! Ich hatte manchmal Angst als Manipulator betrachtet zu werden, deswegen ja meine Versicherungen, dass es nicht so schlimm sei und man meine Tränen ignorieren möge.

Ich versuche jetzt, wenn ich von Gefühlen drohe übermannt werden, die Gefühle anzuerkennen. Statt zu sagen „Es ist nichts!“, sage ich mir jetzt „Da ist etwas, sonst würde ich ja nicht so reagieren.“

Dieses Akzeptieren meiner Gefühle habe ich vor allem jetzt gelernt, da ich selbst Kinder habe. Mir ist aufgefallen, dass ich, wenn meine Kinder weinen oder anders unruhig sind, sie tröste und ihnen sage, dass alles wieder gut wird. Ich sage niemals, dass es keinen Grund gibt, schlecht gelaunt zu sein, zu quietschen oder zu quengeln, denn beim Baby und Kleinkind erkenne ich an, dass sie irgendetwas belastet, sonst würden sie sich ja nicht so verhalten, wie sie es tun. Ich erinnere mich an eine Szene, als mein älterer, damals vielleicht eineinhalb Jahre alt, nicht gut drauf war und mein Vater sagte „boah, der schauspielert aber, mannoman. Schau, wie der schauspielert.“ Ich habe entgegnet, dass er nicht schauspielert, sondern ihn irgendetwas stört, was er noch nicht in Worte fassen kann. Letztens eine ähnliche Szene. Mein Sohn, inzwischen zweieinhalb Jahre alt, wollte etwas haben, das ich in der Hand hielt und ihm nicht geben wollte. Ich weiß nicht mehr, was es war. Er tat seine Enttäuschung kund, mein Vater rief laut „Hey. Stell dich mal nicht so an!“ Danach folgte ein kleiner Tumult, denn das konnte ich echt nicht haben, dass meinem Kind gesagt wurde, es solle sich nicht „so anstellen“. Meinem Vater tat es sofort Leid, überhaupt etwas gesagt zu haben, er hatte sich doch vorgenommen, sich nicht in die Erziehung einzumischen, und wollte eigentlich die Sache sofort abhaken. Doch ich wollte ihm unbedingt klar machen, warum ich genau diesen Satz so gefährlich finde. Er suggeriert nämlich, dass jemand eigentlich keinen Grund hat, zum Beispiel enttäuscht zu sein. Wiederholen sich solche Szenen, man zeigt sein Gefühl und bekommt das Feedback, dass das Gefühl falsch sei, zweifelt man doch irgendwann zwangsläufig an seiner Einschätzung der Dinge. Und dann sagt man zu sich selbst „So schlimm ist das nicht! Beruhige dich mal wieder! Stell dich ja nicht so an!“ Ich will nicht sagen, dass mein Vater Urheber dieses Konflikts ist, aber es sind Kommentare wie diese, die in ihrer Gesamtheit diesen Konflikt heraufbeschwören.

Mein Vater hat mir einmal erzählt, dass er genauso nahe am Wasser gebaut sei, und auch schnell in Tränen ausbrechen würde. Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, ihn je weinen gesehen zu haben. Vielleicht hat er es gut versteckt, weil man ja nicht in der Öffentlichkeit weint. Ich vermute, dass er mit genau solchen Kommentaren aufgewachsen ist. Dass er sich nicht so anstellen soll. Wäre es nicht schön, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, in der es völlig okay wäre, wenn man weint, wenn man sich traurig oder überfordert fühlt, ohne das Gefühl zu haben, sich verstecken oder entschuldigen zu müssen?

Bei meinen Kindern achte ich da, wie gesagt, sehr darauf solche Dinge nicht zu sagen. Wenn sie schlecht drauf sind, überlege ich, was die Ursache sein könnte. Oft brauche ich nicht lange suchen. Hunger oder Müdigkeit erklären schon einiges. Aber wenn der Grund nicht so naheliegend ist, nehme ich sie trotzdem ernst, auch wenn ihr Verhalten mitunter anstrengend ist. Ich realisiere, dass sie noch nicht eloquent in Worte fassen können, was sie wurmt. Und ich tröste sie und sage ihnen, dass alles wieder gut wird. Ich sage nicht, dass alles gut ist, denn das ist es ja nicht, sonst würden sie nicht weinen, und ich möchte diesen Konflikt nicht einführen. Stattdessen sage ich, dass alles wieder gut wird. Und mein Großer spricht es mir schon nach. Wenn er sich verletzt hat, sagt er „Alles wieder gut“.

Und jetzt da ich so bedürfnisorientiert erziehe, schaue ich auf mein Verhalten mir selbst gegenüber und finde, dass ich mir selbst gegenüber auch ruhig nachsichtiger sein darf. Wenn ich weine, dann wurmt mich auch etwas, und wahrscheinlich weine ich, weil ich es nicht in Worte fassen kann. Irgendwo habe ich einmal gehört, dass Weinen nach außen hin signalisiert, dass man Hilfe braucht. Vielleicht ist das ein recht kluger built-in Mechanismus, der, wenn man sich mit Worten nicht verständlich machen kann, dennoch deutlich angibt, dass es einem nicht gut geht und man Unterstützung, eine Umarmung oder Ähnliches gerade gut gebrauchen könnte.

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat immerhin schon zwei erfreuliche Momente zuwege gebracht. Nummer Eins, als ich vor einer Weile mit meiner Mutter einen sehr unerfreulichen Streit hatte und am Telefon ordentlich geschluchzt habe, meinte meine Mutter, ich solle mal aufhören zu weinen. Es gibt verschiedene mögliche Gründe, warum sie das gesagt haben könnte. Automatismus, etwas das einfach gesagt wird, wenn jemand weint. Oder weil sie als meine Mutter es nicht gut ertragen kann, wenn ich weine. Oder weil sie findet, dass man deswegen nicht weinen braucht. Oder, oder, oder. Jedenfalls habe ich dann nicht versucht, meine Tränen zu unterdrücken, sondern ihr einfach gesagt, dass ich traurig bin und nun einmal weine, und sie mir nicht sagen soll, dass ich aufhören soll, das könnte ich nämlich nicht so einfach abstellen. Und das so zu sagen, es zu akzeptieren, hat sich gut angefühlt.

Und Nummer Zwei, ich hatte mit einer Nachbarin darüber gesprochen, dass ich versuche die Gefühlsäußerungen meiner Kinder ernst zu nehmen um eben diesen Konflikt, wenn möglich, nicht aufzubauen. Sie sagte, dass sie auch versuchte, dies zu tun. Kurze Zeit später kam sie noch einmal auf unser Gespräch zurück und erzählte, dass ihre Tochter während des Essens viel seufzte und komisch drauf war. Sie hatte dann nachgefragt, was los sei, bekam aber keine Antwort. Als sie fragte, ob sie es nicht in Worte fassen könnte, nickte ihre Tochter. Und als sie dann fragte, ob eine Umarmung vielleicht helfen würde, wurde dies dankend angenommen. Und danach, so meine Nachbarin, verlief der Tag richtig gut und sie meinte, dass unser Gespräch sie dafür sensibilisiert hatte, das Verhalten ihrer Tochter nicht einfach als nervig abzutun, sondern ernst zu nehmen und einfühlsamer zu reagieren.

Ich denke, dass wir uns oft das Leben unnötig schwer machen, wenn wir so viel Energie darauf verwenden gegen etwas anzukämpfen, das eigentlich nur dann zum Problem wird, wenn wir es als problematisch beurteilen. Hast du vielleicht auch etwas, das du an dir selbst nicht magst, und was du versuchst (erfolglos) zu unterdrücken oder los zu werden, und was eigentlich gar nicht so schlimm ist, sobald man es akzeptiert? Wenn ja, dann hoffe ich, dass du einen Weg findest, dieses Etwas einfach mit einem Lächeln und einem Schulterzucken hinzunehmen.

Gedanken zur/Zeit

Hallo du!

Willkommen auf meiner Webseite. Schön, dass du hergefunden hast.

Kurz zum Sinn und Zweck: Ich möchte wieder mehr schreiben. Und weil es nicht sehr motiviert, wenn die geschriebenen Texte auf Nimmer-Wiedersehen in den Tiefen des Computers verschwinden, habe ich diese Webseite erstellt, damit zumindest die Möglichkeit besteht, dass diese Texte auch gelesen werden. Zudem habe ich im Alltag selten die Gelegenheit die mir wichtigen Themen tiefgehender und ganz in Ruhe zu diskutieren und ich gebe zu, dass ich das vermisse. So begnüge ich mich mit langen Monologen, um meine Gedanken zu sortieren und so eventuell zu einem späteren Zeitpunkt eine Diskussion zielgerichteter führen zu können.

Ich habe (noch) keine Niche. Ich werde queerbeet über Themen schreiben, die mich zurzeit interessieren und von denen ich annehme, dass sie die ein oder andere/den ein oder anderen auch interessieren könnten. Vielleicht werde ich irgendwann feststellen, dass mich ein Thema mehr interessiert als andere und der Schwerpunkt dieser Webseite wird sich verlagern. Ich bin gespannt!

Themen, die ich gerne besprechen möchte, sind zum Beispiel: Beschneidung, Abtreibung, Politisches, Philosophie, Veganismus, Familienthemen, Sinn des Lebens, Buddhismus, Religion, Grundeinkommen, Corona, Physik, Wissenschaft, Gender, Nachhaltigkeit, Ethik und viele weitere…

Und noch kurz zum Titel meiner Webseite: Ich schreibe zu den Themen, die gerade aktuell sind (zur Zeit), oder die mich generell interessieren. Dabei möchte ich herausheben, dass dies meine Gedanken zurzeit sind, und sich diese durch weiteren Input in der Zukunft verändern können. Es sind Momentaufnahmen. Ich werde Schlüsse ziehen und mir eine Meinung bilden aufgrund von Informationen, die ich momentan habe, und diese anpassen, wenn die Faktenlage sich ändert. Es kann also sein, dass du einen Artikel liest, den ich selbst so nicht mehr unterschreiben würde, ich aber noch keine Gelegenheit hatte, ihn zu revidieren.

Dieser Punkt ist mir deswegen wichtig, weil ich mich manchmal gescheut habe, meine Meinung zu äußern, weil ich wusste, dass mir Informationen fehlen, um zu einer fundierten Meinung gelangen zu können. Das ergibt zwar auf der einen Seite Sinn, aber auf der anderen Seite kann man nie sicher sein, alle Informationen zu besitzen, oder diese richtig ausgewertet zu haben, um zu einer Meinung zu gelangen, die alle Faktoren berücksichtigt und perfekt abwägt. Wenn ich über ein Thema schreibe versuche ich natürlich alle Informationen zu sammeln, die ich brauche um genau das zu tun, aber ich bin nur ein Mensch, mit meinen ganz eigenen biases. Ich werde beeinflusst durch die Erziehung, die ich genossen habe; die gesellschaftlichen Normen, mit denen ich aufgewachsen bin, und mit denen ich tagtäglich konfrontiert werde; durch die Menschen, die Eindruck auf mich gemacht haben, usw. Und es kann immer sein, dass ich andere Menschen nicht verstehe, weil ich nicht wie sie aufgewachsen bin, oder andere Erfahrungen gemacht habe, andere Dinge glaube, anderen Dingen eine höhere Priorität beimesse, usw. Zwar versuche ich, Sachverhalte objektiv zu beurteilen, weiß aber natürlich, dass ich niemals wirklich objektiv sein kann, solange ich eine Meinung vertrete, statt nur die Fakten zu nennen. Meinung ist schlichtweg nie objektiv. Also probiere ich ein Thema von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten (wenn ich die Realität einer anderen Person nicht nachempfinden kann ist das natürlich schwierig) und zu einer Meinung zu gelangen, die basiert ist auf Werten und Normen, die Allgemeingültigkeit besitzen sollten…meiner Meinung nach. Mehr dazu in einem anderen post.

Und nur wenn ich meine Meinung äußere kann sie angefochten werden, und das ist wichtig, denn ich kann nicht wissen, dass mir entscheidende Informationen fehlen, wenn mich niemand darauf hinweist. Nur wenn jemand zB. meine Texte liest und feststellt, dass ich etwas nicht berücksichtigt habe und diejenige setzt mich darüber in Kenntnis, kann ich die neuen Informationen auswerten und gegebenenfalls meine Ansicht anpassen.

Mein Ziel ist es Texte zu verfassen, die für andere Menschen einen Mehrwert haben können. Wenn ich über persönliche Dinge schreibe, dann in der Hoffnung, dass sie für andere Menschen relevant sein können, weil sie etwas beinhalten, das neu/interessant/wichtig für sie ist, oder weil ich glaube, dass der ein oder andere Ähnliches erlebt oder ähnlich empfindet. Ich werde meine Texte vor Veröffentlichung also nach bestem Wissen und Gewissen dahingehend überprüfen, dass sie tatsächlich Informationen beinhalten, die über mein persönliches Leben hinaus gehen und in einem größeren Kontext eingebettet werden können.

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