Da wir in einer Gesellschaft leben, in der man sehr leicht den Eindruck bekommen kann, dass man erst jemand ist, wenn man etwas (besonders gut) kann, oder (besonders viel) hat, ist es nicht verwunderlich, dass wir mitunter versuchen durch den Vergleich mit anderen unseren Selbstwert abzuleiten, immerzu hoffend möglichst gut abzuschneiden, und enttäuscht und unzufrieden mit uns selbst, wenn wir es nicht tun. Zudem wird oft suggeriert, dass man erst besonders schön, besonders intelligent, besonders wohlhabend, besonders diszipliniert, also auf irgendeine Weise besonders sein muss, um glücklich sein zu können. Und solange wir nicht einem Ideal entsprechen, oder besser als andere abschneiden, können bzw. sollten wir nicht zufrieden sein.
Ich halte dagegen, dass die allermeisten Vergleiche weder fair noch zielführend sind. Und wenn Vergleiche nicht in einem praktischen Nutzen resultieren, der uns weiterhilft, dann sind sie sinnlos und wir wären gut beraten, uns das Vergleichen wieder abzutrainieren.
Warum kann ich nicht so sein wie Person X?
Wenn alle Faktoren zwischen Person X und mir gleich wären, also zB. unsere Gene, Erziehung, Erfahrungen, Prioritäten, Charakter, Bedürfnisse, Interessen etc., dann wäre ich genauso wie Person X. Wir haben aber nun einmal einen unterschiedlichen Genmix, eine andere Erziehung genossen, unterschiedliche Interessen, andere Erfahrungen gemacht, und unterschiedliche Prioritäten, etc.
Bei manchen Vergleichen ist das sehr einfach zu akzeptieren: Warum bin ich nicht so klein wie Person X? Wenn ihre Eltern klein sind und meine Eltern groß, liegt die Antwort auf die Warum-Frage auf der Hand. Lautet die Frage jedoch: Warum bin ich nicht so selbstsicher/entspannt/wissend/zielstrebig/schön wie Person X? Dann kann die Antwort auf diese Frage so vielfältig und komplex sein, dass man die Gründe mitunter nicht genau ausmachen kann. Und statt die zugrundeliegenden Faktoren zu ergründen, schlussfolgert man, dass man nicht so gut ist wie die andere Person. Vermeintlich nicht so gut zu sein wie jemand anderes suggeriert uns, dass mit uns etwas nicht stimmt. Und weil wir glauben, dass wir eigentlich wie die andere Person sein könnten, es aber aufgrund eines persönlichen Mangels (Faulheit, Dummheit, Unentschlossenheit) nicht schaffen besser zu werden, fühlen wir uns schlecht. Wir werden uns zudem auch weiterhin schlecht fühlen, weil wir durch den Vergleich nichts Nützliches dazu gelernt haben. Aber es geht auch anders, dazu ein paar Beispiele:
Schreiben
Ich brauche um einen Artikel zu schreiben eine (gefühlte) EWIGKEIT! Schreiben, Umschreiben, Schreiben, Umschreiben, Löschen, noch einmal von vorne. Ah, das klingt nicht gut. Ah, das ist nicht logisch. Was will ich eigentlich sagen? Schreiben, Umschreiben. Das geht doch bestimmt noch besser, oder?… Und in meinem Kopf bildet sich dabei die Vorstellung, dass es da draußen Menschen gibt, die einen Artikel, so wie ich ihn schreiben möchte, in einem Bruchteil der Zeit niederschreiben könnten. Das würde ich auch gerne können. Sagen wir diese Person gibt es wirklich (gibt es wahrscheinlich sogar) und sie existierte nicht nur in meiner Vorstellung. Was bringt mir der Vergleich, wenn ich nur schlussfolgere, dass ich sehr langsam voran komme und dass das wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass ich im Vergleich zu der anderen Person gewisse Mängel habe? Dass ich wohl nicht scharfsinnig, oder fokussiert, oder strukturiert genug bin. Erst einmal nichts, außer dass ich mich ein bisschen blöd fühle. Ich werde dadurch nicht schneller, oder scharfsinniger, oder fokussierter, denn ich weiß ja immer noch nicht, wie ich arbeiten muss, um das alles zu beschleunigen. Statt mir jedoch einzureden, dass ich blöd bin, sollte ich den Fokus darauf legen jemanden zu finden, der effizienter schreibt als ich und von ihr oder ihm zu lernen. Vielleicht hat die Person Tipps und Tricks, die ich übernehmen kann und die mir meine Arbeit erleichtern. Nur dann hat der Vergleich etwas Sinnvolles hervorgebracht.
Schönheit
Es gibt nicht das Schönheitsideal. Schönheitsideale ändern sich im Lauf der Zeit, unterscheidet sich von Kultur zu Kultur, und sogar von Person zu Person. Mal sind große Brüste toll, dann wieder kleine, mal gilt eine hohe Stirn als besonders schön, dann muss sie wieder kaschiert werden, mal soll Frau Kurven haben, dann wieder ultra-dünn sein. Auch das Schönheitsideal für den Mann unterliegt Schwankungen, aber groß und muskulös ist schon eine Weile angesagt. Bei jedem Ideal gibt es jedoch nur Wenige, die von Natur aus diesem Ideal entsprechen, Männer wie Frauen, und viele, denen nun eingeredet wird, dass sie falsch seien und erst glücklich sein könnten, wenn sie dem Ideal entsprechen. Wir wissen zwar inzwischen, dass nahezu alle Fotos, die wir zB. in der Werbung sehen, gefotoshopt sind und die abgebildeten Menschen so nicht einmal existieren, und dass besonders schöne Menschen nicht unbedingt besonders glücklich sind, aber es ist manchmal dennoch gar nicht so einfach sich von all dem zu distanzieren.
Wenn ich in den Spiegel schaue und mich mit dem Schönheitsideal vergleiche, versage ich auf ganzer Linie: zu dick, zu wenig Oberweite, zu große Poren, zu dünnes Haar, Zähne nicht weiß genug, Haut nicht glatt genug, Popo nicht straff genug, zu viele Falten, zu viel Haar dort, wo es nicht sein soll, zu wenige Muskeln, Lippen zu blass, etliche Narben, Wimpernschlag nicht dramatisch genug, usw. usf. Puuuh! Das Zusammenspiel meiner Gene und meiner Lebensweise scheint nicht sehr förderlich, und ich könnte davon ziemliche schlechte Laune bekommen. Zum Glück muss ich mich nicht in mein Schicksal fügen, denn es gibt Wege um mich dem Ideal näher zu bringen. Was müsste ich also tun? Weniger essen. Viel mehr Sport treiben. Künstliche Haare für mehr Volumen, Laserbehandelung um andere Haare zu entfernen, Make-up für einen ebenmäßigen Teint, Rouge für Frische im Gesicht, falsche Wimpern. Cremes gegen die Falten. Brustvergrößerung und eventuell Fettabsaugen an den Hüften, Zähne aufhellen, falsche Fingernägel, und wahrscheinlich Einiges mehr, was mir erst im Laufe der Zeit auffällt.
Statt mich nur mit dem Ideal zu vergleichen und mich schlecht zu fühlen, habe ich einen gehbaren Weg gefunden, der mich dem Ideal näherbringen kann. Hurra! Bevor ich jetzt aber loslege, spule ich einmal vor und überlege mir, was wäre, wenn ich es tatsächlich täte:
Bei jedem Bissen würde ich an meine Hüften denken, statt den Bissen zu genießen. Sport würde ich betreiben, um Kalorien zu verbrennen und Muskeln aufzubauen, statt mich an der Bewegung an sich zu erfreuen. Operationen wären schmerzhaft und kostspielig. Schminken und abschminken zeitraubend. Mein Fokus, statt auf meinen Interessen, meiner Familie und dem Spaß am Leben zu liegen, würde sich stark auf mein Spiegelbild verlagern.
Und dann, wenn ich endlich besonders schön wäre, was wäre dann? Menschen würden sich sicher positiv äußern. Abzunehmen gilt als Leistung, ob man nun übergewichtig war oder nicht. Sich zu Schminken wird zudem oft mit „etwas aus sich machen“ gleichgesetzt. Doch solange ich meinen Selbstwert von der Anerkennung anderer abhängig mache, wird mein Glück genauso abhängig von ihr sein. Und wenn andere versäumen mir genug Beachtung, Bestätigung und Anerkennung zuteil werden lassen, werde ich mich schlecht fühlen, egal wie „hübsch“ ich dann bin.
Wenn ich mir das alles so durch den Kopf gehen lasse, stelle ich drei Dinge fest: Erstens, ich möchte meinen Selbstwert gar nicht darüber definieren, wie schön ich in den Augen anderer Menschen bin. Zweitens, ich möchte meinen Fokus nicht auf mein Aussehen verlagern. Und drittens, ich bin nicht bereit all das zu tun, was nötig wäre, um dem Ideal zu entsprechen.
Wie sinnvoll ist es dann für mich, mich mit einem Schönheitsideal zu vergleichen? Genau, wenig sinnvoll. Daher kann ich es auch einfach ganz sein lassen. Wenn ich nun in den Spiegel sehe, und einfach nur sehe, was jetzt schon ist, sehe ich Folgendes: Groß, schlank, gesund, schöne Hände, schöne Augenfarbe, stark, sympathisches Lächeln. All das kann ganz unabhängig von anderen geschehen. Ich kann mich betrachten, ohne mich zu vergleichen. Und wenn ich anfange wirklich mich zu sehen, statt das, war mir scheinbar noch fehlt (siehe Besserwisser zur richtigen Verwendung von scheinbar), dann bin ich auch jetzt schon zufrieden und kann mich auf die Dinge konzentrieren, die mir wirklich wichtig sind. Und wenn andere Menschen besonders schön sind, ihre Gene und ihre (hoffentlich gesunde) Lebensweise sie einfach besonders hübsch machen, dann kann ich mich an ihrer Schönheit erfreuen, so wie ich mich auch an besonders schönen Blumen oder besonders schönen Momenten erfreue, und kann einfach die Schönheit an sich wertschätzen, ohne das mein Selbstwert dabei Schaden nimmt, denn die andere Person ist nicht schöner als ich, sondern einfach schön.
Einsatzbereitschaft
Es gibt Menschen, die brennen für eine Sache. Sie können sich den ganzen Tag, über Wochen, Monate, sogar Jahre mit ein und demselben Thema befassen und es ödet sie immer noch nicht an. Sie haben einfach ihr Ding gefunden, das sie erfüllt. Das können zum Beispiel Sportlerinnen sein, oder Köchinnen (ja das Wort gibt es), Professorinnen, Vollzeit-Mütter, oder Gärtnerinnen. Das ist wirklich wunderbar! Es sei denn, man vergleicht sich mit jenen Menschen, und zieht die falschen Schlüsse, zum Beispiel, dass man faul, träge, undiszipliniert, unstruktruriert, etc. sei, und endlich mal ein bisschen mehr Einsatz zeigen sollte.
Während meines PhDs machte ich, statt bis spät abends zu arbeiten, wie es manche meiner Kolleginnen und Kollegen taten, um fünf Uhr Feierabend und fuhr im Sommer zum See um Schwimmen zu gehen. Über dem Buch oder den Artikel, den ich lesen sollte, schlief ich ein. In einer späteren Diskussion über den Stoff versuchte ich nicht durch Unwissenheit aufzufallen (ernster Blick, ab und zu ein nachdenkliches Nicken, ihr wisst schon 😀 ). Ich lernte Türkisch, ich unterhielt mich mit Kollegen über Geschichte und Politik, ich ging Spazieren und dachte über Gott und die Welt nach, ich machte alles Mögliche, aber ich saß nicht bis spät abends an meiner Doktorarbeit.
Wenn ich mich in einem solchen Kontext mit der ein oder anderen Kollegin vergleiche, könnte ich zu dem Schluss kommen, dass ich faul bin. Und das kann entweder dazu führen, dass ich mich einfach nur mies fühle und hart mit mir ins Gericht gehe (du Versager), oder ich kann selbst lange im Büro sitzen, bis spät abends arbeiten und morgens ganz früh wieder anfangen. ODER, ich gehe noch einmal zurück zu dem Vergleich, und überlege, ob der Vergleich überhaupt sinnvoll und fair ist:
Vielleicht arbeitet meine Kollegin ja auf eine Professorinnen-Stelle hin und muss dafür besonderen Einsatz zeigen um an ihr Ziel zu gelangen. Oder sie interessiert sich so sehr für ihr Thema, dass sie viel lieber weiter daran arbeitet, als irgendetwas anderes zu tun. Oder sie hat sich mit einer anderen Kollegin verglichen und glaubt, sie müsste es tun. Oder sie möchte nicht alleine zuhause herumsitzen und genießt noch die Zeit mit den anderen Kollegen. Oder sie hat zwischendurch so viele Pausen gemacht und sich ablenken lassen, dass sie jetzt noch ein paar Dinge nachholen muss um ihr Pensum zu schaffen. Und vielleicht ist das auch einfach ihre Art zu arbeiten und es stört sie nicht weiter. All das trifft nicht auf mich zu. Mir ist es sehr wichtig, neben der Arbeit Zeit für andere Dinge zu haben, zB fürs Schwimmen. Wenn ich mich zu lange mit einem Thema befasse ödet es mich an, ich kann also besser für Pausen sorgen um Energie zu tanken und wieder frisch an die Arbeit zu gehen. Rund um die Uhr zu arbeiten passt auch nicht in mein Lebenskonzept. Und da ich von allem ein bisschen wissen möchte, ist besonderer Einsatz für ein einziges Thema einfach meist nicht drin. Das hat also mit Undiszipliniertheit oder Faulheit nichts zu tun, sondern mit einem unterschiedlichen Fokus und unterschiedlichen Prioritäten. Auch hier ist ein Vergleich interessant, um seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen, und weniger dafür geeignet, einen Wert zu extrahieren.
Meinem Mann erging es vor einer Weile auch einmal so, als er seine Leistung auf der Arbeit mit der einiger seiner Kollegen und Kolleginnen verglich. Er hatte das Gefühl (es gab keine objektiven Kriterien), nicht so leistungsstark zu sein wie sie und er glaubte mitunter, etwas falsch zu machen und war unzufrieden mit sich selbst, weil er sich zu oft ablenken ließ oder mit den Gedanken abschweifte, statt konzentriert zu arbeiten. Eine meiner ersten Fragen war, ob die Kolleg*Innen junge Kinder hätten. Nein. Werden sie nachts mehrere Male aufgeweckt und teilweise lange wachgehalten? Kopfschütteln. Wann arbeiten sie denn an den Projekten? Zum Beispiel auch abends von zuhause aus, weil sie Single sind und vielleicht eh nichts anders zu tun haben? Teilweise Zustimmung. Möchtest du auch abends noch arbeiten? Kopfschütteln. Sind die Lebensumstände und Prioritäten vergleichbar, wodurch ein Vergleich vielleicht ein wenig fairer wäre? Nicht wirklich? Dann bringt ein Vergleich auch nichts! Zumindest was den Selbstwert betrifft. Wenn es darum geht, von anderen eine Technik, oder einen Trick zu lernen, um sich auf einem Gebiet zu verbessern, kann ein Vergleich sehr wohl nützlich sein. Darauf gehe ich weiter unten noch einmal ein. Aber anderweitige Vergleiche ohne konkreten Nutzen, sind nicht nur nutzlos sondern sogar schädlich, weil sie einfach nur die mentale Gesundheit angreifen.
Der schöne Schein
Der Vergleich mit anderen Personen oder Idealen geschieht oft so automatisch, dass wir selten innehalten und das Bild, mit dem wir uns vergleichen, erst einmal kritisch auf Richtigkeit überprüfen.
Mein Mann meinte vor einiger Zeit, dass „andere“ es hinkriegen würden, für Ordnung und Sauberkeit in ihren vier Wänden zu sorgen, wir aber oft im Chaos lebten. Woher weiß er denn, dass es bei anderen immer so ordentlich und sauber ist? Seine Antwort: Immer wenn wir dort sind, ist es sauber und aufgeräumt. Aha! Und was machen wir, wenn wir Besuch erwarten? Genau: Aufräumen und Staubsaugen 😀 Deswegen fand ich es ja immer gut, wenn Besuch kam, denn dann war das Haus endlich mal wieder aufgeräumt (solange man nicht in die Ecken und unters Sofa guckt… ihr wissen schon). Es kann natürlich sein, dass die „anderen“ tatsächlich geschickter darin sind, Ordnung zu halten. Aber vielleicht haben sie auch keine zwei kleinen Kinder, die alles wieder ausräumen, was man gerade weggeräumt hat, oder die lieber mit Mama spielen, als sie staubsaugen zu lassen. Oder die nur an Mama gekuschelt schlafen wollen, oder draußen spielen möchten, statt Mama beim Fenster putzen zuzusehen. Und vielleicht sind uns andere Dinge auch einfach wichtiger als Ordnung (denn zugegeben, auch schon bevor wir Kinder hatten, waren wir eher etwas chaotisch). Aber vielleicht herrscht in dem Haus der anderen auch das Chaos, bis wir uns ankündigen …
Manchmal kommt mir der Gedanke, dass andere Mütter das Leben mit zwei oder mehr Kindern entspannter schaukeln als ich. Und ich frage mich, wie sie das machen. Und es ist wie gesagt nicht verkehrt sich auszutauschen, denn es kann immer gut sein, dass man durch bestimmte Kniffe und Tricks das Leben tatsächlich einfacher und schöner gestalten kann. Aber stimmt mein Bild überhaupt, was ich über andere „entspannte“ Mütter habe?
Ich fragte vor kurzem eine Freundin, auch Mutter von zwei kleinen Kindern, wie es ihr ginge. Und sie sagte „Prima, es läuft gut.“ Wir unterhielten uns eine Weile, da erzählte sie, dass sie am Abend zuvor die Kinder dem Vater übergeben hatte, um erst einmal eine Runde zu weinen, weil sie so überlastet war. Ich konnte ihr direkt versichern, dass mir das auch einige Male so ergangen war. Jetzt zum Glück nicht mehr, aber als mein jüngstes Kind so alt war wie ihres jetzt, auf jeden Fall. Wäre unser Gespräch nach den ersten Sätzen unterbrochen worden, hätte ich den Eindruck gewinnen können, dass sie – im Gegensatz zu mir – völlig entspannt und locker das Leben mit zwei kleinen Kindern schaukelt. Erst in einem tiefer gehenden Gespräch wurde klar, dass das Bild „Sie macht das mit links“ nicht realistisch war.
Eine Freundin sagte mir einmal, dass meine Kinder so lieb und ruhig wären. Sie sind, neben vielen anderen Dingen, auch lieb und ruhig, das will ich gar nicht bestreiten. Aber mir fiel auf, dass sie meine Kinder immer nur gesehen hatte, wenn sie entspannt waren. Das für Kleinkinder typische Verhalten, das zur normalen Entwicklung einfach dazu gehört, dass sie zB gleichzeitig etwas wollen und auch nicht wollen, und darüber so frustriert und wütend werden, dass sie schreien und toben und weinen, und bei dem nur Aushalten, Geduld und Kuscheln hilft, das hat sie nie beobachtet. Wenn sie nun andere Kinder sieht, die schreien und toben und weinen, könnte sie glauben, dass mit diesen Kindern irgendetwas nicht stimmt, dabei vergleicht sie es lediglich mit einem Bild, das basiert ist auf einigen wenigen Momenten, und das absolut nicht die Realität abbildet.
Wir vergleichen uns oft mit einem „Bild“ das wir über eine andere Person haben, und nicht einmal mit der Person selbst, denn sie und ihre Umstände kennen wir meist gar nicht gut genug. Wir nehmen Momentaufnahmen und Ausschnitte, die nicht die komplette Wirklichkeit abbilden. Es ist kein Wunder, dass wir bei der ganzen Phantasie nicht mithalten können, denn Phantasie ist grenzenlos, und wir sind es nicht.
Intelligenz
Während ich mich während meines Studiums noch als recht intelligent empfunden habe, änderte sich diese Einschätzung während meiner PhD Zeit. Plötzlich war ich umgeben von wirklich klugen Menschen, und ich fragte mich, ob ich mich überschätzt hatte. Dass ich im Biophysik-Institut arbeitete, aber weder Biologie noch Physik, ja nicht einmal Mathematik studiert hatte, machte es nicht besser. Zum Glück gab es genügend Momente, in denen ich Fortschritte machte und auch in den Kursen kam ich prima mit, aber immer wieder stieß ich an meine Grenzen: Ich verstand einfach nur Bahnhof. Und statt nachzufragen und einzugestehen, dass ich etwas nicht verstand, tat ich so, als würde ich es verstehen, um mir nicht die Blöße zu geben oder als dumm wahrgenommen zu werden. Um entspannt sagen zu können „Noch einmal bitte, das verstehe ich noch nicht.“ braucht es schon Einiges an Selbstsicherheit, und die hatte ich in dem Moment nicht. Ich hatte immer geglaubt, ich sei besonders intelligent und daraus meinen Selbstwert gezogen, und nun, da ich dem Bild einer intelligenten Person nicht mehr entsprach, bröckelte mein Selbstbild und mein Selbstwert.
Dabei ist es doch so: Der absolute Wert meiner oder deiner Intelligenz ändert sich nicht. Ob wir nun umgeben sind von Menschen, die eine schnelle oder langsame Auffassungsgabe haben, ändert nichts daran, wie schnell oder langsam wir selbst etwas erfassen. Einzig die Wahrnehmung der eigenen Intelligenz kann sich verändern, denn unser Referenzpunkt kann sich verschieben. Der absolute Wert ist hingegen stabil. Wir können uns Vergleiche der Intelligenz schenken, denn unsere Intelligenz können wir schlecht durch Tipps und Tricks aufbessern. Was wir wohl können ist uns neues Wissen aneignen, was uns befähigt Sachverhalte zu verstehen. Ich musste auch erkennen, dass ich ein Physikstudium nicht eben nachholen konnte, und gegeben der zur Verfügung stehenden Zeit und meiner Ressourcen realistisch sein musste über die Tiefe, in die ich gehen konnte. Und andere Menschen müssen auch verstehen, dass nicht jeder das gleiche Vorwissen hat um direkt folgen zu können. Und vielleicht bin ich auch einfach weniger intelligent als andere. Das hindert mich nicht daran, trotzdem die Dinge zu tun, die ich tun möchte. Können es andere vielleicht schneller oder leichter? Möglich. Aber ich kann es auch, nur vielleicht mit mehr Anstrengung und es dauert länger. Es tut gut einfach zu sagen: „Das verstehe ich nicht. Kannst du es mir noch einmal anders erklären?“ Weil man zum einen einfach authentisch sein kann, und zum anderen, weil man wahrscheinlich tatsächlich schlauer wird, denn oftmals braucht es nur einen anderen Erklärungsansatz, damit man versteht. Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass ich meinen Selbstwert nicht über meine Intelligenz ermitteln darf. Denn meine Intelligenz, sowie auch alle anderen Eigenschaften, sind einfach Eigenschaften, die nichts über den Wert einer Person aussagen. Zwei Personen, die unterschiedlich klug sind, sind gleichwertig. Und wenn ich nicht mit anderen Personen konkurriere, kann ich intelligentere Personen als Hilfe betrachten. Sie können mir helfen, Dinge zu verstehen, die ich alleine nicht verstehe. Und ich wiederum kann anderen Menschen dabei behilflich sein, Dinge zu verstehen, mit denen sie Schwierigkeiten haben, in dem ich Wege finde, sie verständlich zu machen.
Wie bestimme ich denn dann meinen Selbstwert?
Eigentlich ist das ganz einfach: Du bist genauso viel wert wie jeder andere Mensch auch. Jeder Mensch hat Eigenschaften, die je nach Situation hilfreicher oder weniger hilfreich sind, mehr oder weniger Anerkennung erhalten, als besonders oder alltäglich beurteilt werden. Vieler dieser Urteile sind subjektiv, willkürlich, manchmal auch unfair, und oft schlicht unnötig. Den Selbstwert darüber zu bestimmen, was gerade besondere Aufmerksamkeit erhält und darüber, wie gut man im Vergleich abschneidet, ist nicht sehr sinnvoll, selbst wenn man gut abschneidet. Denn wenn man gut abschneidet, urteilt man seinerseits schlecht über andere, und was bringt einem das? Da wir oft auf Konkurrenz getrimmt werden, und damit darauf, besser zu sein als andere, ist es nicht leicht, keine Vergleiche anzustellen. Aber es geht! Dazu sollte man sich zwei Dinge immer wieder vor Augen halten:
Erstens: Ich bin ich, und du bist du! Wir haben andere Gene, andere Voraussetzungen, andere Bedürfnisse, Interessen, etc. Vergleiche sind deswegen oftmals irreführend, weil sie sich zum einen nur auf einen einzigen Aspekt beschränken statt den Menschen als Ganzes wahrzunehmen und anzuerkennen, und zum anderen, weil sie uns glauben machen, wir sollten danach streben so zu sein, wie jemand anderes. Dabei wollen wir doch keine Kopie von jemandem werden.
Zweitens: Vergleiche passieren vor allem dann, wenn wir glauben besser oder anders sein zu müssen als andere, weil wir erst besonders sein müssen bevor wir jemand sein können. Wenn wir aber aufhören einander als Konkurrenten zu sehen, sondern den Fokus aus Kooperation legen, dann sind solche Vergleiche nicht mehr nötig. Wir können uns zwar noch Vergleichen um zu sehen, wo wir uns verbessern können, und um zu verstehen, wen wir am besten um Hilfe bitten können, aber ohne Drang, anders sein zu müssen, als wir sind. Wenn wir ein gemeinsames Ziel haben, dann ist es egal, wer die Intelligenteste ist, denn wir nutzen alle zusammen all die Intelligenz, die uns zur Verfügung steht, um unser Ziel zu verwirklichen. Und intelligente Menschen in unserem Team zu haben, nützt uns allen, statt uns minderwertig fühlen zu lassen. Und Menschen, die besonders strukturiert arbeiten können, können anderen Tricks zeigen, wie sie es auch hinbekommen. Statt sich beweisen zu müssen und anderen demonstrieren zu müssen, dass man jemand ist, und somit wert hat, können wir unsere Energie darauf verwenden, das Leben für uns alle schöner zu gestalten.
Was nehme ich für meine Kinder mit?
Schon kleine Kinder werden verglichen. Wer läuft als Erstes? Wer spricht als Erstes? Welches ist das Größte? Welches ist das Süßeste? Die Entwicklung der Kinder mit der gesunden Entwicklungsspanne zu vergleichen ist sinnvoll, um gegebenenfalls Entwicklungsstörungen frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegen wirken zu können. Aber Kinder untereinander zu vergleichen ist nicht nur unsinnig, weil es nun einmal ein Kind geben muss, das als erstes läuft oder spricht, und es absolut nichts über die Wertigkeit des Kindes, ja nicht einmal über die elterlichen Fähigkeiten aussagt, es ist zudem gemein den Kindern gegenüber, denn sie sind komplexe Wesen mit vielen Eigenschaften, Interessen und ganz eigenen Bedürfnissen und Charakteren. Vergleiche suggerieren auch schon Kindern, dass sie nicht gut genug sind, oder nur toll sind, wenn sie etwas besser können, als ein anderes Kind. Und das ist Schwachsinn und so verletzend. Daher ist es mein Ziel meinen Kindern immer den Rückhalt zu geben, sodass sie sein können wie sie sind, und das machen können, was sie glücklich macht, und sie sich eben nicht auf der Selbstwert-Ebene mit anderen Kindern vergleichen müssen. Ich hoffe wirklich, dass es mir gelingt, den Einfluss von außen, und eventuell auch meine eigenen Automatismen einzuschränken, sodass sie den Fokus darauf legen können, herauszufinden was sie selbst brauchen und möchten, statt darauf zu probieren so zu sein, wie sie glauben, dass andere sind oder sie selbst sein sollten.
Fazit:
Wenn wir uns vergleichen, sollte der Vergleich zu etwas führen, das uns weiterbringt. Zum Beispiel kann ich über einen Vergleich gut herausfinden, was ich selbst möchte oder nicht möchte. Und ich kann eventuell herausfinden, was mir das Leben einfacher machen könnte. Oder ich kann neue Techniken lernen, die Spaß machen. Solange ich über einen Vergleich etwas erfahre, dass sich in mein Leben implementieren lässt und es so schöner macht, ist dieser gut und sinnvoll.
Alle Vergleiche, die darauf abzielen, den eigenen Wert zu messen, sind hingegen sinnlos. Der Wert eines Mensch steigt nicht mit seiner Besonderheit und er sinkt nicht mit seinen vermeintlichen Schwächen. Beziehungsweise, er sollte es nicht. Denn in einer Gesellschaft, in der der Nachdruck auf Konkurrenz liegt, kann man schnell diesen Eindruck bekommen. Aber es liegt an uns bei diesem „Spiel“ mitzumachen. Möglich ist auch eine Gesellschaft mit dem Nachdruck auf ein Miteinander und dem Fokus auf Kooperation, in dem solche Vergleiche unnötig sind. Ich jedenfalls möchte nicht erst im Vergleich zu anderen oder irgendwelchen Idealen zu jemand werden. Ich möchte einfach sein. Ich bin so hübsch, intelligent, belesen, freundlich, geduldig, aggressiv, unsicher, charmant, behilflich, liebevoll, reizbar, träge und witzig wie ich eben bin. Ganz unabhängig davon, wie hübsch, aggressiv oder liebevoll jemand anderes ist oder wie charmant und witzig ich einem Ideal zufolge sein sollte. Und es fühlt sich gut an, einfach zu sein, statt erst im Vergleich zu anderen zu existieren.
Uns über andere zu definieren heißt zudem zu riskieren, Dinge zu tun und nach Dingen zu streben, die uns eigentlich gar nicht wichtig sind, und zu Kopien anderer zu werden. Und wenn wir uns einreden oder einreden lassen, dass wir erst wertvoll werden, wenn wir besonders sind, können wir nicht langfristig glücklich und zufrieden sein, denn es wird immer jemanden geben, der klüger oder schneller ist, mehr besitzt oder auch mit weniger auskommt – wenn das denn unser Ziel ist. Wenn wir einfach sind, ohne den Druck besonders sein zu müssen, sondern einfach ein Mensch unter anderen Menschen, wird es uns leichter fallen gelassen und zufrieden mit uns selbst zu sein. So haben wir die Möglichkeit im Hier und Jetzt unsere Leben zu genießen, statt darauf zu warten endlich den Punkt zu erreichen an dem wir klug, schön, diszipliniert, fleißig, geduldig, vermögend genug sind, um zufrieden sein zu dürfen. Ohne Vergleiche können wir in uns ruhen und akzeptieren, dass wir so sind, wie wir sind, und auch andere Menschen so annehmen, wie sie sind, statt diese mit Idealen oder mit anderen Menschen zu vergleichen um ihren Wert zu ermitteln. Sich nicht – beziehungsweise sich auf eine nützliche Weise – zu vergleichen kann man lernen, dazu muss man sich immer wieder bewusst werden, wann und wie man sich vergleicht, und was es mit einem macht. Und wenn wir es schaffen aufzuhören uns selbst erst beweisen zu müssen, können wir anfangen uns um die Probleme zu kümmern, die wirklich wichtig sind und die wirklich unserer Aufmerksamkeit und Energie bedürfen. Ich denke hierbei an die Leben unserer Mitmenschen. Statt den Fokus auf unsere Schwächen zu richten sollten wir uns auf unsere Stärken konzentrieren und überlegen, wie wir sie einsetzen können, um nicht (nur) unser eigenes Leben zu verbessern, wie es in der Konkurrenz-Gesellschaft gepredigt wird, sondern darauf, das Leben aller Menschen zu verbessern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht wirklich glücklich sein könnte, selbst wenn ich der schönste, reichste, erfolgreichste, klügste Mensch auf der Welt wäre, solange es andere Menschen gibt, denen es nicht gut geht. Und darum muss der Fokus weg von immer nur ich-ich-ich, hin zu wir-wir-wir, und da ist es egal, ob ich Mitesser habe oder nicht den allerbesten Artikel schreiben kann. Wenn mein Selbstwert feststeht und nicht immer wieder ermittelt werden muss, und meine Stärken, statt meine vermeintlichen Schwächen zentral stehen, kann ich mich darauf konzentrieren mit dem was ich wohl habe und was ich wohl kann, im Rahmen meiner Möglichkeiten eben, Mehrwert für andere zu kreieren.
Mit den allerliebsten Grüßen,
RE
