Was ist die effektivste Methode um einem (unfairen) Kritiker das Wind aus den Segeln zu nehmen? Ihm zu widersprechen? Sich zu verteidigen? Mit ihm darüber zu argumentieren, warum er falsch liegt? Nein. Ganz im Gegenteil: Die effektivste Manier um ihn zum Schweigen zu bringen ist ihm zuzustimmen.
Der schärfste und beständigste Kritiker steht nicht vor einem, er thront stattdessen zwischen unseren Ohren und es entgeht ihm nichts. Manchmal kann man ihn ignorieren, sich taub stellen, sich sagen, dass man bloß nicht auf ihn hören soll, aber man kann die Kritik nicht vollends abwehren. Sie nagt an einem, und ob man will oder nicht, sie beeinflusst einen auch. Vielleicht sagt oder tut man etwas nicht, weil man diese innere Kritik fürchtet. Oder man verurteilt sich für etwas, das man in der Vergangenheit gesagt oder getan hat, weil der Kritiker einen immer mal wieder daran erinnert und einem sagt, dass man stattdessen dieses oder jenes hätte sagen oder tun sollen. All das kostet Energie und laugt einen auf Dauer aus.
Das erste Mal
Es gibt da dieses Vorurteil, dass Frauen nicht parken können. Jedes Mal wenn ich parken wollte, hatte ich es im Kopf, und auch, dass wenn ein Mann schlecht parkt, er einfach ein Mann ist, der schlecht parkt. Aber eine Frau die gesamte weibliche Hälfte der Weltbevölkerung repräsentiert und wenn sie schlecht parkt, alle Frauen schlecht parken. Ich wollte diesem Vorurteil nicht noch Zündstoff geben und versuchte möglichst gut zu parken. Und war oft unzufrieden. Nicht schnell genug geparkt, nicht elegant genug, etc pp. Dann kam mir der Gedanke: Wenn es heißt, Frauen parken schlecht, wieso dagegen ankämpfen? Kann ich das nicht für mich nutzen? Ich kann so mies parken wie ich will, schließlich bin ich eine Frau, ich darf das. Und ich mache damit auch noch einige Menschen sehr glücklich, nämlich jene, die eh glauben, Frauen könnten das nicht. Ich habe also keinen Stress, und jene sehen ihr Vorurteil bestätigt. Win-win.
Inzwischen bin ich tatsächlich viel entspannter was das Thema Parken betrifft. Wenn nur wenige Plätze zur Verfügung stehen, achte ich schon drauf, dass ich andere nicht behindere. Aber wenn es ein großer Parkplatz mit vielen freien Flächen ist, dann verschwende ich keine Zeit auf die perfekten Abstände rechts und links. Und ich nehme mir extra Raum heraus: Die meisten Parkplätze sind super, wenn man alleine unterwegs ist, berücksichtigen jedoch nicht, dass man vielleicht Kinder dabei hat, die ein und aussteigen und auch noch angeschnallt werden wollen. Es ist schon vorgekommen, dass ich so wenig Platz hatte, dass ich mich auf dem Fahrersitz kniend nach hinten verbiegen musste, um die Kinder anzuschnallen. Um das zu verhindern parke ich jetzt oft so, dass wenigstens eine Seite gut zu erreichen ist und ich beide Kinder ohne Verbiegen erreichen kann. Wenn die Parkplätze sich nicht an Müttern orientieren, müssen Mütter eben ihre Räume selbst erobern.
Ist der Ruf erst ruiniert…
…lebt es sich recht ungeniert. Und damit meine ich nicht den Ruf, den man bei anderen hat, sondern den Ruf, bzw. das Bild, das man gerne von sich selbst hat. Nachdem ich die neue Gelassenheit beim Einparken genossen habe, habe ich irgendwann festgestellt, dass sich diese Gelassenheit auch in anderen Bereichen erzielen lässt, und zwar, indem man einfach akzeptiert, dass man unfähig ist. Ich fing an zu sagen „I suck“ und musste direkt lächeln. Zum einen, weil ich natürlich weiß, dass es nicht stimmt und es sehr übertrieben klang, aber auch, weil ich fand, dass es mich befreite. Das Englische „suck“ hatte auch keine so sehr negative Bedeutung für mich, vielleicht auch, weil Englisch nicht meine Muttersprache ist, und das „suck“ mehr ein Klang, als wirklich eine Verurteilung war. Jedes mal wenn mir etwas nicht gelang, sagte ich mir „War doch klar, I suck wenn es zum Beispiel um Ordnung/Gärtnern/Freundlichsein geht. Was hast du denn erwartet!“. Ich zuckte mit den Schultern und machte weiter.
Nicken und Lächeln
Ich erkannte, dass es fast gar keine Energie kostet und den inneren Kritiker schnell zum Verstummen bringt, wenn man ihm schulterzuckend zustimmt. Das Wort suck habe ich durch ein deutsches, neutrales Wort ersetzt: unfähig. Hier ein paar Beispiele:
“Du wolltest deinen Laptop schön ordentlich halten und schau ihn dir jetzt wieder an: Völliges Durcheinander! Du kriegst es einfach nicht gebacken, Ordnung zu halten! Du bist doch kein Kind mehr, das müsstest du inzwischen gelernt haben” – “Du hast Recht. Ich bin unfähig auf Dauer Ordnung zu halten. Anscheinend fehlt mir noch die richtige Routine.”
“Deine Kinder sitzen schon wieder vor dem Fernseher und essen noch dazu ungesundes Zeug. Eine perfekte Mutter wüsste, wie sie ihre Kinder unterhalten kann, während sie andere wichtige Dinge erledigt, statt dass sie vor dem Fernseher geparkt würden. Du musst dir mehr Mühe geben” -”Du hast Recht. Eine perfekte Mutter wüsste das. Ich bin wohl unfähig diesem Ideal zu entsprechen.”
“Wie lange ist es her, dass du wirklich sportlich warst? Du musst endlich den Hintern hockkriegen und Sport in deinen Alltag einbauen. Sei nicht so faul.” -”Du hast Recht. Ich bin unfähig all die Aufgaben, die ich täglich habe, so zu sortieren, dass ich auch noch Zeit und Energie für Sport habe.”
“Stattdessen isst du schon wieder dieses ungesunde Zeug. Dabei schmeckt es nicht einmal toll. Du redest immer davon deine Gewohnheiten zu verändern, machst es aber dann doch nicht. Du bist so inkonsequent” -”Du hast Recht, ich scheine momentan unfähig meine Gewohnheiten zu verändern. Meine Prioritäten liegen wohl gerade woanders.”
“Damals, als du ständig mit Leuten über Veganismus diskutiert hast, hättest du dich nicht so aufregen und ruhig und sachlich bleiben sollen. Du hast dich von ihnen total aufreiben lassen und hast dich lächerlich gemacht” –“Du hast Recht, sich aufzuregen, weil jemand eine andere Meinung vertritt, bringt nichts. Ich war unfähig in der Situation ruhig zu bleiben, weil mich das Thema sehr berührt. Inzwischen weiß ich mehr darüber, warum Menschen trotz guter Argumente bei ihrer Meinung bleiben und erkenne auch, dass viele ihrer Argumente nur dazu gedacht waren, um mich abzulenken. Dieses Wissen hatte ich damals nicht. Heute kann ich mit solchen Diskussionen anders umgehen, aber das musste ich erst einmal lernen.”
Unfähigkeit ist wertfrei und nicht endgültig
Ich habe das Wort unfähig ganz bewusst gewählt, denn es hat für mich eine völlig neutrale, nicht bewertende Bedeutung. Ich benutzte nicht Wörter wie scheitern oder versagen, die eine verurteilende Bedeutung haben. Stattdessen sehe ich mich selbst als Beobachter, der eine Situation von außen betrachtet und wertfrei erfasst, was ist.
Zudem hat Unfähigkeit nichts Endgültiges, wie zum Beispiel Scheitern oder Versagen, die eher ein Ende ankündigen, ein Nicht-Erreichen eines Ziels. Die Unfähigkeit kann aber ein momentaner Zustand sein, und sich möglicherweise zur Fähigkeit entwickeln, was ihr sogar noch einen gewissen Optimismus verleiht.
Die eigene Unfähigkeit umarmen
Wir streben immer danach ein bestimmtes Ideal zu erreichen, und der innere Kritiker beurteilt ob unser Handeln ein Ideal erreicht, oder eben nicht. Ideale werden entweder von außen an uns herangetragen, oder wir setzen sie uns selbst. Diese Ideale sind jedoch teilweise komplett unrealistisch und egal wie sehr wir uns anstrengen, es ist unmöglich sie zu erreichen. Und wenn wir sie doch erreichen, können wir das Niveau nicht lange halten. Und dann schreit der innere Kritiker, dass wir versagen. Die meiste Zeit über liegen wir unter dem Wert von “Perfekt” und wenn wir glauben, nur dann zufrieden sein zu dürfen, wenn wir dieses Ideal erreicht haben, dann ist nicht sehr viel Lebenszeit mit diesem angenehmen Gefühl erfüllt. (Was sehr schade ist, wenn man bedenkt, dass wir wahrscheinlich nur dieses eine Leben haben.)

Wenn wir immer nur sehen, was wir nicht können (perfekt sein), verpassen wir es anzuerkennen, was wir wohl hinkriegen.
Wir können uns jedoch stattdessen eine Basislinie der Unfähigkeit dazu denken. Wir sind in vielen Dingen und oftmals oder immer mal wieder schlicht unfähig. Aber es gibt auch Dinge, die wir relativ gut machen, und oft genug sind wir imstande, also fähig, über die Basislinie hinaus etwas gut hinzukriegen. Alles was über der Basislinie liegt ist ja schon mal etwas. Ein Bonus, über den man sich freuen darf. Statt also sein Handeln anhand der eh nicht zu erreichenden, bzw. nicht aufrechtzuerhaltenden Perfektionismus-Linie zu bewerten und sich dafür zu schelten, sie nie zu erreichen, kann man sich freuen, dass man ziemlich oft über der Basislinie liegt. Die eigene Unfähigkeit zu umarmen heißt den Bereich und damit die Lebenszeit zu vergrößern, in der man einfach mit sich (und anderen) zufrieden sein kann, statt sich ständig aufzureiben.

Die Basislinie der Unfähigkeit verdeutlicht, dass wir ziemlich viel ziemlich gut hinbekommen. Wenn wir die Unfähigkeit als Basislinie akzeptieren, können wir die Energie, die wir sonst an der kritischen Stimme verschwenden würden dazu benutzen zielführende Wege zu erschließen, die uns helfen uns weiterzuentwickeln.
Unfähigkeit für sich nutzen:
Eines meiner Ideale war, alles alleine zu schaffen. Aber ich habe erkannt, dass ich viel mehr erreichen kann und mich viel besser weiterentwickeln kann, wenn ich andere um Hilfe bitte. Zum Beispiel bin ich unfähig einen perfekten Artikel zu schreiben. Ich kann einen relativ guten Artikel hinbekommen, das ist ja schon einmal was. Aber wenn ich mich traue diesen Artikel einer Person zu schicken, die mir gutes Feedback gibt, kann der Artikel um ein Vielfaches besser werden und ich mich selbst auch noch weiterentwickeln, weil ich das Gelernte für die nächsten Artikel benutzen kann. Auch mein letztes Bewerbungsschreiben war zunächst in Ordnung, wurde aber wirklich gut, nachdem ich Freunde gefragt habe, einen Blick drauf zu werfen und mir konstruktive Kritik zu geben. Mein Ideal, wirklich gute Artikel ganz alleine hinzubekommen, hat mich davon abgehalten, das Feedback zu bekommen, was ich nötig hatte, um mich weiterzuentwickeln. Es stand meinem Ziel gute Artikel zu schreiben im Weg. Anzuerkennen, dass ich unfähig war, es alleine zu schaffen, eröffnete mir die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten und Fortschritte zu machen.
Ich habe auch erkannt, dass ich die Aufgaben das Haus sauber und ordentlich zu halten, die Kinder zu versorgen und zu bespaßen, mich auf die Arbeitssuche zu konzentrieren, eigene Interessen zu verfolgen und noch viele, viele andere Aufgaben, nicht alle unter einen Hut bekomme. Statt also weiterhin zu versuchen „nur die richtige Tagesplanung zu finden, die alles ermöglicht“, werde ich meine Mutter fragen, mir unter die Arme zu greifen.
Ich hatte letztens schlechte Laune und bin mit den Kindern nach draußen gegangen. Mir kam eine Person entgegen, mit der ich noch etwas klären musste, aber aufgrund meiner schlechten Laune keine Lust hatte, zu sprechen. Die Person sagte freundlich Hallo, ich ebenso, und dann sagte ich wir müssten weiter. Sie schien überrascht und eigentlich im Begriff stehen zu bleiben um ein Pläuschchen zu halten, aber ich ging weiter. Sollte ich mich deswegen blöd fühlen? Weil ich ja eigentlich eine freundliche Person bin. Quatsch. Ich war unfähig in der Situation besonders zuvorkommend zu sein, und ich war unfähig so zu tun als sei alles in Ordnung. Vielleicht bin ich beim nächsten Mal wohl dazu fähig, wenn ich besser drauf und kommunikativer gestimmt bin.
Andere Menschen haben andere Ideale, die sie womöglich wieder und wieder verfehlen. Sich zu sagen „Anscheinend bin ich unfähig diesem Ideal zu entsprechen. In Ordnung, dann arbeite ich halt mit dem, was ich wohl schaffen kann.“ kann immensen Druck herausnehmen und Platz schaffen, sich zu akzeptieren und neue Wege zu finden, seinen Zielen näher zu kommen.
Die Unfähigkeit der anderen
Wenn man selbst unfähig ist perfekt zu handeln, dann sind es andere natürlich auch. Auf viele Begebenheiten in der Vergangenheit, und vermeintliche Fehler anderer Menschen kann man mit einem viel milderen Blick schauen:
Eine Person reagiert wütend auf kleinste Kritik und zieht direkt eine Mauer hoch? – Sie ist unfähig mit ihren Gefühlen umzugehen und hat noch keine effektive Methode gefunden auf Kritik zu reagieren.
Jemand reagiert nicht so, wie man es gerne hätte? – Er ist momentan unfähig auf die Wünsche einzugehen. Es ist vielleicht nicht deutlich, wieso, aber irgendetwas hält ihn davon ab, er kann es jetzt einfach nicht.
Ein Bekannter macht einen verletzenden Kommentar? – Er ist unfähig zu erkennen, was er damit bewirkt. Und wenn doch, dann ist er unfähig zu angemessenem sozialen Verhalten.
Wenn Menschen besser handeln könnten, würden sie es tun. Niemand verhält sich absichtlich dumm. Wenn sie sich falsch verhalten, sind sie anscheinend momentan nicht in der Lage, sich angemessen zu verhalten. Das Gleiche gilt für uns selbst. Statt den anderen oder uns selbst zu verurteilen, kann man Nachsicht walten lassen und einfach hoffen, dass die andere Person, und wir selbst, aus unseren Erfahrungen lernen und in der Zukunft über unsere Unfähigkeiten hinauswachsen.
Gelassenheit
Ich hatte geglaubt, mich nicht so schnell beirren zu lassen, und mich nicht von Erwartungen anderer unter Druck setzen zu lassen, aber meine eigenen Erwartungen hatten mich fest im Griff und haben mich wieder und wieder förmlich umgehauen. Ich fühlte mich überfordert und manchmal sogar apathisch, weil ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte, um den riesigen Berg meiner eigenen Erwartungen zu erfüllen um dem Bild zu entsprechen, dass ich gerne von mir hätte. Auch andere beurteilte ich mitunter sehr kritisch. Statt zu schauen, was sie wohl taten, achtete ich vor allem darauf, was sie nicht taten. Diesen Blick zu verändern hat großartige Folgen:
Wenn meine Kinder meiner Anweisung nicht folgen, sage ich mir, dass sie unfähig sind, diese zu verstehen oder sie aufgrund anderer Bedürfnisse unfähig sind, ihr zu entsprechen. Oder dass ich unfähig bin, mich klar auszudrücken. So oder so, ich rege mich weniger oft auf (Es wäre gelogen, wenn ich sagte, ich würde immer entspannt bleiben, aber es ist definitiv entspannter geworden.) Wenn ich jetzt daran denke, dass ich in der Zukunft, vielleicht bei einem Interview, patze, dann zucke ich die Schultern. Dann werde ich wohl unfähig sein, in dem Moment besser zu prästieren. Und alles was in der Vergangenheit getan oder gesagt habe, habe ich so gut gesagt oder getan, wie es mir in dem Moment möglich war. Wenn ich etwas nicht gut gemacht habe, dann war ich aus welchen Gründen auch immer, unfähig es besser zu machen. Vielleicht werde ich es in Zukunft besser machen, vielleicht aber auch nicht. Wenn meine Mitmenschen sich nicht perfekt verhalten, gilt für sie das Gleiche: In dem Moment waren sie unfähig es besser zu machen. Man könnte jetzt argumentieren, dass Mörder dann wohl auch nicht anders hätten handeln können. Vielleicht ist das auch so. Das befreit sie jedoch nicht von ihrer Schuld. Worum es mir in diesem Artikel jedoch geht, sind Alltagshandlungen, und wie wir mit uns selbst und anderen umgehen, und wie wir dafür sorgen können, dass unsere Energie nicht weggefressen wird von inneren Kritikern, und wir unsere begrenzte Lebenszeit auf angenehme bzw. hilfreiche Gefühle und Gedanken lenken, die uns weiterbringen, statt uns zu blockieren. Seit ich die Unfähigkeit umarme, und sie mir zunutze mache, indem ich sie, statt der Perfektion, als Anker benutze um mein Handeln zu betrachten, habe ich auf jeden Fall zu einer ganz neuen Gelassenheit gefunden.
Dieser Gedanke wird wohl nicht jeden ansprechen. Der ein oder andere wird auch denken „Ich habe solche Probleme nicht.“ Aber ich bin keine Schneeflocke, ich bin nicht einzigartig was die kritische Stimme in meinem Kopf angeht, und wenn mir dieser Gedanke hilft, dann hilft er vielleicht auch jemand anderem. Deswegen dieser Artikel. Vielleicht nicht perfekt, aber wenn er hilft, hat er seinen Zweck erfüllt.
Deine RE
